.

Am späten Abend des 01. April rief Saara mich an und erzählte, Rafa und zwei seiner Freunde seien bei ihr. Ob ich wohl Lust hätte, mit allen gemeinsam in "RAPsody" zu gehen?
"Wieso wollt ihr ins 'RAPsody'?" fragte ich entgeistert.
"Weil es das einzige ist, was heute offen hat", erklärte Saara.
Sie beschwor mich, sogleich in die Innenstadt zu fahren; Rafa habe sie darum gebeten, bei mir anzurufen und mich mitzulocken.
"Wenn das so ist ...", sagte ich nachdenklich.
Ich verabredete mit Saara, daß sie mich gegen halb eins in der U-Bahnstation unterm Hauptbahnhof abholte. Die anderen wollten dann schon im "RAPsody" sein.
Kurz nach diesem Gespräch klingelte das Telefon erneut. Rafas Freund Anwar war am Apparat und behauptete, man sei gar nicht in H., sondern in SHG., und das Ganze sei ein Aprilscherz. Noch einen Augenblick später rief Saara wieder an und meinte, Anwar habe nur die Verabredung sabotieren wollen. Ich warnte sie und sagte ihr, daß es mich viel Geld kosten würde, wenn es sich tatsächlich nur um einen Aprilscherz handle; ich müßte dann nämlich mit dem Taxi heimfahren.
"Nein, nein, auf mich ist Verlaß", versprach Saara.
Ich zog rasch ein weites Röckchen zu meinem schwarzen Pullover an und schmückte mich mit der stählernen Fischgräte, einem stählernen Armreif und einem metallbeschlagenen Gürtel. Dann machte ich mich auf den Weg.
Am U-Bahngleis sah ich zuerst nur Saara herumlaufen. Sie redete mit Leuten, die zwischen den Säulen sein mußten. Ich ging hin und fand Tonia und einen Bekannten von Rafa auf einer Bank sitzen, der Benedict heißt. Saara, Tonia und Benedict taten so, als sei das alles, und Rafa sei gar nicht mitgekommen.
"Dann ist das doch ein Aprilscherz", schloß ich.
"Wieso?" fragte Saara. "Wir gehen doch ins 'RAPsody'. Du kommst mit."
"Nein, ich komme nicht mit ins 'RAPsody'. Ich bin hier, weil ich damit gerechnet habe, daß ihr Rafa mitgebracht habt. Wenn er nicht hier ist, dann möchte ich nicht."
"Doch, los, du kommst jetzt mit ins 'RAPsody'", bestimmte Saara.
"Nein, ich komme nicht mit", entgegnete ich. "Was soll ich da? Zu Hause habe ich noch genug zu tun; ich habe jetzt schon eine Menge Zeit verloren, weil ich in die Stadt gefahren bin. Tja ... dann muß ich mir jetzt ein Taxi nehmen. Aber dann könnt ihr doch wenigstens den Preis dritteln. Jeder fünf Mark, he?"
"Wir haben nicht mehr so viel."
"Dann wenigstens einen Teil; dann bin ich auch zufrieden."
"Nun komm', Rafa ist da!" versicherte Saara. "Der ist da, echt!"
"Das glaube ich dir nicht. Ich sehe ihn doch nicht. Du mußt ihn mir schon zeigen."
Saara suchte.
"Wo isser denn jetzt?" fragte sie.
"Saara", sagte ich mahnend. "Der ist gar nicht da."
"Doch, der ist da, echt!" beteuerte Saara. "Die wollten sich verstecken, er und Anwar."
"Das glaube ich nicht, daß Rafa da ist. Das müßte ich erst sehen."
Wir suchen herum, auch außerhalb der Station. Rafa ist nirgendwo zu entdecken. Schließlich gehen wir zurück zur Bank.
"Das kenne ich schon von Rafa", lästere ich. "Sowas hat der schon mal gebracht. Bei seiner Geburtstagsparty hat der sich doch mit Lara in die Büsche geschlagen, und wir saßen da alle, und ich habe gedacht, der kommt nicht wieder, und ich so ganz böse:
'Ich hab' keine Lust, meinen Zug nach Hause zu verpassen, bloß weil Rafa seine Hose nicht zukriegt!'
Da war ich schon ganz böse. Und ein paar Tage später rief er an und erzählte mir umschichtig, er hätte die Saara, die alte Schlampe von früher und noch eine als Freundin, die ich angeblich nicht kenne, und dann, er hätte gar keine Freundin."
Rafa kommt mit Anwar um die Ecke. Sie tun, als sei gar nichts Besonderes gewesen. Rafa geht im Räuberzivil; er hat ein abgetragenes Sacko mit schwarzweißem Karomuster an, ein schwarzes Hemd und die enge Lieblingshose, die schon zerlöchert ist. Er gibt kund, daß er noch gar nicht ins "RAPsody" will. Er will zuerst und vor allem etwas essen. Wir suchen nach einem Speiselokal. Sehr scheu und wie beiläufig wendet Rafa sich mir zu. Er geht manchmal neben mir; meistens aber geht er in einer Reihe mit Anwar und Benedict.
Saara erzählt mir leise, daß Velvet am Abend schon öfter versucht hat, Rafa zu erreichen. Sie rief schließlich auch bei Saara an und bat sie, Rafa auszurichten, daß sie ab halb elf daheim erreichbar sei. Als Saara ihm das mitteilte, sagte Rafa nur:
"Na und?"
Er wollte nicht mit Velvet sprechen, und er wollte auch nicht, daß sie mit ins "RAPsody" kam.
Wir gehen in ein mexikanisches Restaurant. Leider schließt es um eins, in dreiundzwanzig Minuten.
"Gibt es denn gar nichts mehr zu essen?" wird Rafa immer aufgeregter. "Nichts mehr? Nicht ein kleines bißchen? Nicht mal ein kleines Gericht? Nichts? Gar nichts zu essen? Oh, ich hab' so einen Hunger!"
Die Mädchen haben den Einfall, ins "Espresso" zu gehen. Auf dem Weg dorthin fragt Rafa wieder und wieder:
"Wo ist das 'Espresso'? Wo geht's denn hin zum 'Espresso'? Wie geht's denn jetzt zum 'Espresso'? Wie geht's denn jetzt ganz genau?"
"So, jetzt hältst du erstmal deinen Mund", bremse ich ihn, "und gehst hinterher, und dann wirst du schon hinkommen."
"Ich rede den Mund halte, wann ich das will!"
"Oh, süß, er verspricht sich auch noch!" rufe ich entzückt.
"Ich kann mich noch viel mehr versprechen", meint Rafa.
Er stottert irgendetwas. Dann fällt ihm das Schild von "Cages & Chains" ins Auge.
"'Latex und Leine'", deutet er die verschlungenen Lettern über dem Underground-Modegeschäft. "Hahaha, was ist das ... 'Latex und Leine' ... Ja, wo geht's denn jetzt zum 'Espresso'? Wo ist denn das 'Espresso'? Wie weit isses bis zum 'Espresso'?"
"Ja, ja, die Ungeduld", seufze ich. "Die ewige Ungeduld."
Saara erzählt mir, daß Rafa schon aufgeregt war, bevor wir alle uns am Bahnhof getroffen haben. Sie redete ihm zu, er solle versuchen, etwas ruhiger zu werden, aber das konnte er nicht.
Über Saaras Wohnung hat Rafa gesagt, die sei so ordentlich, als würde da gar keiner wohnen. Das hat Rafa auch schon über meine Wohnung gesagt.
Im "Espresso" setzen wir uns alle an einen Tisch. Rafa und ich sitzen über Eck. Rafa guckt mir oft in die Augen, lange und suchend. Mal ist sein Blick schelmisch, mal seltsam traurig.
"Wie ist denn das - du wärst jetzt echt heimgefahren, wenn ich nicht dagewesen wäre?" fragt er mich.
"Ja, ich wäre heimgefahren, wenn du nicht dagewesen wärst."
"Ach, bist du jetzt extra wegen mir gekommen?"
"Ja, sicher", bestätige ich. "Was glaubst du denn? Das ist doch klar."
"Ach, du magst Benedict und Anwar und Tonia und Saara nicht", folgert Rafa.
"Doch, ich mag die schon", erwidere ich. "Aber ich bin wegen dir hierhergekommen. Sonst hätte ich nämlich was anderes gemacht."
"Ja, was hättest du denn gemacht, wenn du jetzt nicht hierhergekommen wärst?"
"Ach, Diverses."
Rafa, das Taschengeld-Kind, leiht sich von Anwar dreißig Mark. Dann liest Rafa mit Saara die Speisekarte vom "Espresso". Er lacht, weil es hier einen Cocktail namens "Black Betty'" gibt. Er bezieht das auf mich, findet es ungeheuer komisch und kann sich kaum beruhigen.
Rafa will sich endlich etwas zu essen bestellen, aber dafür ist es auch hier, im "Espresso", schon zu spät.
"Mensch - gibt es denn hier nichts, nicht mal ein Brötchen?" fragt er fassungslos.
Die Kellnerin verneint. Ich empfehle Rafa, einen Milchkaffee zu bestellen, weil der ein wenig sättigt. Er befolgt diesen Rat.
"Zwischen zwanzig und sechs Uhr soll man eh nichts essen", tröstet Saara den Hungernden. "Und du willst doch abnehmen."
"Ich habe nicht so einen besonders geregelten Tag-Nacht-Rhythmus", erwidert er.
"Das weiß ich", merke ich an.
"Wieso, woher weißt du das?"
"Ich weiß das."
Ich frage Rafa, ob er die Kinderschokoladenriegel will, die ich in meiner Tasche finde. Er will sie nicht, weil sie schon etwas angegriffen sind. Ich hole eine Tüte "Cola-Mampf"-Kaubonbons hervor, die ich für Krisenzeiten mitgenommen habe. Rafa testet die Bonbons, und sie schmecken ihm. Ich lege die Tüte auf den Tisch.
"Hast du am Montag was vor?" fragt mich Rafa.
"Na, ja ... ist Ostermontag."
"Ja, hast du denn was vor?"
"Ich weiß; du hast da doch deinen Auftritt in HF."
"Ah, das weißt du schon. Willst du auch kommen? Ich trete da zusammen auf mit ..."
"Ich weiß nicht, ob ich mich da nicht schon wieder überfordere."
"Wieso?"
"Ich fahre nämlich am 17. schon nach HF., zu Die Form."
"Ah, das ist doch noch ein Weilchen hin. Da überforderst du dich doch nicht."
"Ja, das hat aber auch was mit Geld zu tun", erkläre ich. "Das kostet ja auch was."
"Mensch - Mitfahrgelegenheit! Von H.!" empfiehlt Rafa. "Guck' mal, die Viktoria fährt auch hin!"
"Ohh - nee! Nee, nee, danke! Nee, nee, nee, danke!"
Rafa bedauert, daß er niemanden auf die Gästeliste setzen lassen kann; dies habe er gar nicht in der Hand.
"Hast du eigentlich auch immer Konto überzogen und Dispo überzogen?" erkundige ich mich.
"Ja", antwortet Rafa.
"Ich habe bestimmt mehr Schulden als du", vermute ich.
"Wieviele hast du denn?"
"Na ja, so schätzungsweise fünfunddreißigtausend ..."
"Was!" ruft er. "Fünfunddreißigtausend ... und alles Schulden?"
"Na ja, das sind Kredite, ne?" erkläre ich. "Ich wollte ja in Ruhe studieren, ne?"
"Na ja, dann mußt du die mal langsam abzahlen", rät mir Rafa. "Echt, ich würde nie eine Frau heiraten, die Schulden hat!"
"Na ja, ich möchte ja auch mal verdienen. Ich muß wohl oder übel auch mal als Arzt arbeiten, ob ich das will oder nicht. Als Assi, da bringe ich dann schon mal so ... vier netto oder drei netto nach Hause. Da kann ich die Schulden dann schon von abbezahlen."
"Ja, aber wenn du Hausfrau und Mutter wärst, könntest du das nicht", meint einer aus der Tischrunde.
"Nein, dann könnte ich das nicht."
"Du wirst dann also als Arzt arbeiten?"
"Wenn die Leute mich nehmen, dann werde ich wohl in dem Beruf auch arbeiten. Aber lieber würde ich Hausfrau und Mutter sein."
"Da mußt du dich aber mal um einen Vater kümmern", mahnt Rafa.
"Darüber haben wir uns schon unterhalten, Schatzi", sage ich mit einem verlegenen Lächeln und klopfe ihm auf die Schulter.
Rafa tut ahnungslos:
"Wieso, wer soll denn das sein?"
"Darüber haben wir uns schon unterhalten."
"Willst du mich als Vater?"
Ich bejahe mit einem:
"Ach, nee ..."
Rafa lächelt in sich hinein.
"Du bist echt ein komisches Kind", meint er und wirkt gerührt.
"Aber das weißt du doch schon; das hatten wir schon gesagt", erinnere ich ihn an unser letztes Gespräch über Kinder. "Oder sag' bloß, du hast schon Alzheimer. Na ja, wer weiß, was du sonst noch alles hast ...!"
Die anderen fragen mich, ob ich später im Krankenhaus arbeiten werde.
"Ich muß ja im Krankenhaus arbeiten, damit ich meinen Facharzt mache", antworte ich. "Ich muß wohl meinen Facharzt machen. Da hilft alles nichts ..."
Es ist, als müßte ich mich selbst beschwören, um den Sprung ins Arbeitsleben zu wagen.
"Wieviele Schulden hast du eigentlich?" möchte ich von Rafa wissen.
"Eins-sieben ..."
"Das ist ja fast nichts ..."
Ich muß Rafa immerzu anschauen und kichern.
"Sag' mal - ist die sonst auch so, wenn ihr euch trefft?" wendet er sich an Saara. "Ich meine, wenn ich nicht dabei bin?"
"Nee, äh ... eigentlich nicht, äh ..."
Rafa sagt mir, daß hinter mir eine Gruppe von Leuten sitzt, die würden mich immer so interessiert angucken.
"Überall sind Leute, die mich angucken", zeige ich mich unbewegt.
Ich schaue nicht hinüber zu dieser angeblichen Gruppe.
Rafa gibt mir ein kleines Lenkrad.
"Das ist das Lenkrad von einem echten Barbie-Auto", erzählt er. "Das haben wir vorhin auf dem Sperrmüll gefunden, und da haben wir das Lenkrad mitgenommen."
"Das ist ja toll", freue ich mich. "Das kann ich nehmen, um für die Fahrprüfung zu üben."
Ich will das Lenkrad in die Tasche stecken.
"Nein, das mußt du in deine Brosche integrieren", bestimmt Rafa und zeigt auf die Fischgräte.
"Die Brosche gefällt mir ganz gut", meint er. "Und das da ... was ist das da?"
"Das ist ein Armreif. Den habe ich mit der Brosche als Set gekauft."
Ich stecke das Lenkrad in die Tasche.
"Das tue ich in mein Zettelkästchen, wo ich solche Erinnerungen aufbewahre", sage ich.
"Wie heißt das Kästchen?" fragt Rafa.
"Das ist mein Zettelkästchen."
Rafa gibt mir seine Fahrkarte. Offenbar will er meine Andenkensammlung erweitern.
"Was ist eigentlich passiert, als du dein Auto im Suff gegen einen Baum gesetzt hast?" möchte ich wissen.
"Ich habe gar keinen Unfall gebaut", behauptet Rafa. "Ich habe mein Auto nicht gegen einen Baum gesetzt. Ich habe es abgestoßen, weil es mir zu teuer geworden ist."
"Da hast du mich ja beschwindelt", stelle ich fest. "Weshalb willst du eigentlich immer schwindeln und widersprüchlich sein?"
"Widersprüchlich bin ich nur dir gegenüber."
"Und warum willst du mir gegenüber widersprüchlich sein?"
"Weil ich es einfach geil finde, daß du mir immer nur die Lügen glaubst und nicht die Wahrheit. Das finde ich einfach nur geil."
"Das heißt also, du verstellst dich nur vor mir, he?"
"Ja, gerade nur vor dir."
"Und vor den anderen verstellst du dich nicht."
"Nein."
Rafa findet meine Haare zu kurz. Er möchte, daß ich sie mir länger wachsen lasse.
"Ach, lange Haare ...", sage ich nachdenklich. "Mit vierzehn hatte ich mal lange Haare. Und als ich sie mir abgeschnitten habe, fühlte ich mich richtig befreit."
"Auch, daß du so kurze Haare hast über den Ohren, das ist so unerotisch, so maskulin."
"Das stimmt nicht; das ist absolut erotisch."
"Die Länge, wie deine Schwester das hat, das finde ich gut", meint Rafa, "und dann auch so hochgesteckt. So solltest du die haben. Lange Haare, wo man sich beim Orgasmus richtig schön drin festkrallen kann."
"Tja, bei mir wirst du darauf verzichten müssen", bedauere ich. "Ich finde kurze Haare einfach praktischer. Ich binde sie mir ja auch zusammen."
"Mach' sie doch mal auf."
"Nein, das mache ich zu gegebener Zeit."
"Wenn sie ins Bett geht", ergänzt Saara.
"Na, da habe ich ja auch nichts von", meint Rafa.
"Na, ja - mal sehen", sage ich. "Du trägst dein Haar ja jetzt auch kürzer. Das war schon mal viel länger. Und du kämmst es dir auch auf die eine Seite so 'rüber, daß es ein bißchen so asymmetrisch wird, wie ich das habe. Hm?"
"Gefällt es dir besser, wenn er längere Haare hat, oder wenn er kürzere Haare hat?" fragt mich Saara.
"Ich mag beides gern bei ihm", antworte ich. "Ich finde beides hübsch. Am liebsten habe ich es, wenn er seine natürliche Haarfarbe trägt. Schwarz finde ich auch ganz hübsch, aber seine natürliche Haarfarbe finde ich noch schöner. Am wichtigsten ist es aber, daß er sich rasiert. Rasieren muß er sich immer. Auch über den Ohren, da müssen die Haare mal wieder ab. Da muß mal wieder richtig abrasiert werden."
"Mal sehen", sagt Rafa. "Ich rasiere mich jetzt bestimmt erstmal nicht, weil, ich habe mich hier total geschnitten."
Er hat eine Verletzung an der Wange. Beim Rasieren ist ihm ein Einwegrasierer auf den Boden gefallen und hat sich dabei verbogen. Als er sich damit weiter rasierte, riß er sich die Haut auf.
Rafa fragt mich, weshalb ich "Elektro-Betty" genannt werde.
"Das hat mit meinem Tanzstil zu tun", erkläre ich. "Das haben sich ein paar Leute aus BS. ausgedacht, als die meinen richtigen Namen noch nicht kannten."
"Also, Dolf und ich, wir haben dich immer 'Nintendo-Schock' genannt."
"Ach, nach dem Lied?"
"Mit dem Lied hat das gar nichts zu tun; das gab's damals noch gar nicht."
"Also habt ihr das Lied nach mir benannt?"
"Ja."
"Oh, da muß ich mich ja geehrt fühlen!"
"Ach, nein, ist Quatsch, ist alles Quatsch", will Rafa das Gesagte ungesagt machen. "Das heißt nur so, weil in England diese Kinder beim Videospielen gestorben sind."
"Wie bist du denn überhaupt darauf gekommen, das Lied so zu nennen?" erkundige ich mich.
Anwar nörgelt:
"Also, ich habe echt Besseres zu tun, als hier herumzusitzen und über Videospiele zu reden; das ist doch nur langweilig. Den Abend kann man doch wohl auch anders verbringen."
"Übrigens weiß ich jetzt, daß Tessa nicht mehr in H. wohnt!" teilt Rafa dem Anwar über den Tisch hinweg mit.
"Rafa", sage ich mahnend, "du fängst schon wieder an, zu provozieren!"
"Wieso provozieren?" fragt Rafa. "Es gibt niemanden, der provoziert. Es gibt höchstens jemanden, der sich provozieren läßt."
"Es gibt aber auch einen, der provoziert", bleibe ich bei meiner Ansicht. "Immer wenn du unsicher wirst, mußt du provozieren. Daran kann man immer erkennen, daß du unsicher wirst. Dann fängst du an zu provozieren. Genau wie auf der Party - als du unsicher wurdest, hast du angefangen, Dummheiten zu machen."
"Hee - ich kann doch f...en, mit wem ich will!" entgegnet Rafa, grinsend wie ein Lausejunge, der genau weiß, daß er etwas Ungehöriges von sich gibt.
"Jetzt muß er schon wieder provozieren", seufze ich. "Von mir aus darfst du überhaupt nichts!"
"Wer sagt das?"
"Ja, ich sag' das."
"Jedenfalls weiß ich jetzt, daß Tessa umgezogen ist", erzählt Rafa der Tischrunde.
"Nach Amerika?" fragt Saara.
"Nein, nicht nach Amerika."
"Nach HH.?" fragt Anwar.
"Ja", bestätigt Rafa.
"Ja, echt?"
"Mentos."
"Mentos?"
"Mentos."
"Heißt das 'Puff'?" frage ich. "'Strich'?"
"Ja", antwortet Rafa.
"Ja, ja, da paßt sie auch hin", lästere ich.
"Quatsch", verteidigt Anwar die Sängerin.
"Ha!" lacht Rafa. "Du ärgerst dich doch nur darüber, daß Tessa dich im 'Elizium' die Treppe 'runtergeschmissen hat!"
"Rafa?" frage ich warnend. "Soll ich mich schon wieder aufregen? He? Ich meine, 'rausschmeißen kannst du mich ja hier nicht."
"Warum kann ich dich hier nicht 'rausschmeißen?"
"Wenn wir bei dir zu Hause wären, dann könntest du mich 'rausschmeißen, aber hier ist ja ein Restaurant; da kannst du mich ja nicht 'rausschmeißen. Aber trotzdem würde ich doch hier etwas skandalöse Ausdrücke verwenden. Und ich will jetzt nicht unbedingt skandalös werden. Außerdem habe ich dich schon so mit Schimpfwörtern beworfen ... irgendwann geht mir auch mal meine Phantasie aus, und mir fallen keine Schimpfwörter mehr ein."
"Ich sag' ja - er mag dich nicht", klärt Anwar mich auf.
"Ja - ehe er das Gegenteil zugeben würde, würde er sich hier oben an der Deckenlampe aufhängen", erwidere ich.
"Ich wollte mich noch nie aufhängen", sagt Rafa.
"Ja, aber du wolltest dir schon meinetwegen die Pulsadern aufschneiden."
"Ha ... ha ...", macht Rafa verlegen.
"Ja, ja, das ist ein Insider", sage ich zu der Runde.
Rafa zeigt mir seine Handgelenke. Ich finde am rechten eine feine Narbe.
"Das ist ein sehr kurzer Schnitt", urteile ich, "und auch nur einer; das sieht eher nach einem Unfall aus als nach einem Selbstmordversuch. Obwohl - du bist Linkshänder, also schneidest du dich rechts."
"Ich bin Rechtshänder."
"Du bist Linkshänder. Du schreibst links."
"Ich schreibe links. Aber ich mache alles andere mit rechts."
"Kannst du mir noch so ein 'Daim' besorgen?" bittet mich Rafa.
Dies sei eines von den Bonbons, die auf dem Nachbartisch liegen.
Ich drehe mich um und sehe ein paar Leute, die gemeinsam aus einer Tüte mit "Daim"-Bonbons essen.
"Frage sie doch selbst, ob sie dir eins geben", fordere ich Rafa auf. "Ich will ja schließlich keins. Du willst ja eins."
"Ach, mir geben sie nichts."
Ich lasse es darauf beruhen und kümmere mich nicht mehr um die Angelegenheit.
"Wollen wir was spielen?" fragt Rafa.
"Dann schlag' doch mal was vor", empfehle ich.
Rafa fängt an, mit dem Essen zu spielen. Er nimmt sich ein "Cola-Mampf" und legt es zierlich auf den Rand seiner Untertasse. Nach einer Weile lädt er das Bonbon auf einen Teelöffel und läßt es in seinen Milchkaffee fallen. Als der Kaffee ausgetrunken ist, liegt auf dem Boden der Tasse immer noch das Bonbon; es ist deutlich angelöst. Mit dem Teelöffel nimmt Rafa das Bonbon hoch, und er versucht, es so in die Höhe zu werfen, daß es sich in der Luft dreht und danach auf den Teelöffel zurückfällt. Wir sollen alle bei dem Kunststück zuschauen. Weil das Bonbon sich nicht in der Luft drehen will, schlägt Rafa es in der Tasse mit dem Löffel platt.
"Will jemand noch so ein Bonbon haben?" fragt er in die Runde. "Ich habe hier noch eins."
Keiner will es haben. Rafa klagt weiterhin über Hunger.
"Au ja, wir fahren alle zu Hetty und machen Party", sagt er schließlich und tut, als sei ihm dieser Gedanke eben erst gekommen. "Mußt du am Morgen arbeiten?"
"Nein", antworte ich.
"Wann mußt du denn arbeiten?"
"Das ist flexibel."
"Hast du zu Hause was zu essen außer der Tankstelle?"
"Na, ja ... ich habe noch ein paar Spaghetti ohne Soße ... und Brotaufstrich ... und Margarine und Brot ..."
"He! Ich sagte, was zu essen!" stellt Rafa klar. "Was Warmes!"
"Ja, da habe ich gerade noch so einen Asia-Nudelsnack ... und so einen chinesischen Nudelsnack ... und das sind für mich schon wieder zwei Mahlzeiten."
"Hast du zu Hause Cornflakes?"
"Ich habe Haferflocken, Kleie, Grieß und Milch. Daraus mache ich immer mein Frühstück."
"Ja, dann muß ich wohl doch nochmal zur Tanke."
"Ja, wir können ja auch nochmal zur Tanke."
"Los, wir gehen jetzt zu Hetty und machen Party", drängelt Rafa. "Da können wir auch was essen. Kochen kannst du ja wohl, nicht?"
"Ich kann das schon, wenn ich die Zutaten dazu habe."
"Ach, ohne Arsen und Strychnin kannst du doch gar nicht kochen."
"Aber ich habe doch schon für dich gekocht", erinnere ich Rafa. "Du hast doch schon Pizza gegessen bei mir."
"Ach, Pizza in den Ofen schieben, das kann doch jeder."
"Ich koche schon manchmal richtig. Am Freitag habe ich gewußt, ich habe Gäste, und da habe ich dann auch einen Salat gemacht, und der ist auch echt ganz gut geworden."
"Wen hattest du denn alles zu Besuch?"
"Moment mal, wer war denn das alles ... die Constri, der Carl, die Zoë und die Merle und ihre Tochter Elaine. Und Ortfried Brinkus war auch noch da."
"War diese Malda auch dabei?"
"Nein, die war nicht dabei."
"Die ist nett."
"Ja, die ist ganz nett."
Ich verzichte darauf, Rafa meine neuesten Erlebnisse mit Malda zu erzählen. Das kann ich zu anderer Zeit noch tun.
"Hast du gerne Gäste?" fragt Rafa.
"Ja."
"Gerne oder sehr gerne?"
"Ich habe gerne Gäste", sage ich achselzuckend.
"Sind die Fotos fertig?" erkundigt sich Rafa.
"Natürlich."
"Hast du sie mitgebracht?"
"Nein, die sind im Album, wo sie hingehören."
"So viele Fotos hast du von mir wohl nicht gemacht."
"Oh, doch, schon eine ganze Menge."
"Wieviele denn?"
"Fünf. Und dann habe ich ja auch noch die Aufnahmen, wo du dir die Videokassetten ausgeliehen hast."
"Ach?"
"Ja, da hast du dich doch immer gegen das Fotografieren gewehrt."
"Kannst du bügeln?" fragt Rafa.
"Ja, klar kann ich bügeln."
"Dann kannst du mir ja die Hemden bügeln."
"Ja, gut, aber nur, wenn du mir dabei Gesellschaft leistest", mache ich zur Bedingung. "Alleine so vor mich hinzubügeln macht mir nämlich keinen Spaß."
"Ach, komm' ... ich - ich geb' dir dann mal meine Hemden, und dann kannst du die bügeln ..."
"Ja, aber nur, wenn du mir dabei Gesellschaft leistest. Sonst mache ich das nicht. Dann habe ich keine Lust dazu. Kannst du denn bügeln?"
"Ich kann alles."
Wir wollen zum "RAPsody" hinübergehen. Ich stehe auf und streiche mir den Rock zurecht.
"Die Sachen sind ja ganz schick", urteilt Rafa über meine Kleider. "Aber da müßten noch ganz andere Möpse drin sein."
"Schade, daß ich mein Lineal nicht dabeihabe", sage ich gelassen. "Sonst würdest du jetzt Fingerkloppe kriegen."
"Ja, das ist entschieden zu wenig."
"Dauernd muß er provozieren ..."
Auf dem Weg zum "RAPsody" verrät mir Saara, daß es ihr Spaß macht, Schicksal zu spielen und Leute hin- und herzuschieben und zu verkuppeln.
Im "RAPsody" läuft nur Musik, mit der ich nichts anfangen kann - Rap und Ähnliches. Ich verhalte mich ruhig und abwartend.
"Rafa hat voll schlechte Laune", teilt mir Saara mit.
"Und warum hat er schlechte Laune?"
"Er hat Hunger."
"Weißt du, am liebsten würde ich ihn ja einfach mitnehmen", seufze ich, "aber das geht ja nicht. Er muß darum bitten, und das traut er sich nicht."
Ich stelle mich vorsichtig zu Rafa und frage:
"Na, und wie geht's?"
"Oh ... langweilig."
Benedict gibt eine Runde aus. Ich bekomme Sambuca. Rafa trinkt nur Orangensaft. Er weist auf einen freien Barhocker neben ihm. Ich setze mich. Rafa beschäftigt sich damit, Rapmusik nachzuahmen.
Nach etwa einer Stunde einigen wir uns darauf, ins "Nachtbarhaus" zu gehen. Rafa ist voller Vorfreude:
"Jetzt ein schöner gemischter Salat, und dem Rafa geht's wieder gut."
Auf dem Weg durch die unterirdische Fußgängerzone tickt Rafa mal Benedict, mal Anwar an die Schulter und ruft:
"Packen, du bist!"
Die Jungen wetzen übers Pflaster.
"Du meinst, du bist schneller!" ruft Benedict herausfordernd.
"Ich sage nicht, ich bin schneller", erwidert Rafa. "Ich bin flink."
Nach dem Rennen wuschelt Rafa uns Mädchen spielerisch durch die Haare. Er singt viel, "Das Wandern ist des Müllers Lust" und ein Lied von den Schlümpfen. Saara und Rafa versuchen, sich gegenseitig auf den Hintern zu hauen.
In der Nähe vom "Nachtbarhaus" zeigt Rafa auf die Ankündigungsplakate für das Osterfestival in HF., an dem er teilnimmt.
"Hier - das ist ein Plakat, da steht 'W.E' drauf", sagt er zufrieden. "Das ist o.k., daß das hier überall angekündigt wird."
Im Torweg zum "Elizium" steht Viktoria. Rafa läuft zu ihr hin und fragt:
"Bist du am Montag auch in HF.?"
"Weiß noch nicht", zögert sie. "Vielleicht."
"Man sieht sich!"
Im "Nachtbarhaus" lege ich meine Sachen auf einen Stuhl und gehe hinunter zu den Toiletten. Inzwischen setzt sich Rafa zu meinen Sachen, und so kommen wir nebeneinander zu sitzen, wie es schon im "Espresso" gewesen ist.
Rafa ist immer noch sehr zappelig und aufgekratzt. Er zuckt dauernd mit einem Bein und redet von "Currywurrst", "Bratwurrst" und "Bockwurrst", etwas, das er anscheinend nicht mag. Er bestellt Salat, gleich zwei Teller auf einmal. Mit viel Vergnügen führt er Kartentricks vor. Dann schaut er mich mit seinem schelmisch-traurigen Blick an und fragt:
"Hier, willst du mal ein Rätsel lösen?"
"Ja, gern. Erzähl' mir das mal."
Rafa erzählt die Geschichte eines Mannes, der im Hafen von HH. ankommt. Der Mann kehrt allein von seiner Hochzeitsreise zurück. In einem Delikatessengeschäft kauft er sich Pinguinfleisch. Er ißt das Fleisch und bringt sich anschließend um. Nun soll ich raten, weshalb sich der Mann umbringt. Ich darf nur Fragen stellen, die sich mit "ja" oder "nein" beantworten lassen. Den Grund für den Selbstmord errate ich nicht, trotz allen Bemühens. Rafa erklärt schließlich, wie es dazu kam. Der Mann und seine Frau sind auf ihrer Hochzeitsreise in den Dschungel gefahren. Die Frau wurde von Kannibalen gefangen und zubereitet. Der ahnungslose Mann wurde von den Kannibalen zum Essen eingeladen, und ihm wurde das Fleisch seiner Frau vorgesetzt. Die Kannibalen behaupteten, es sei Pinguinfleisch. Dem Mann schmeckte das Fleisch außerordentlich gut. Als seine Frau verschwunden blieb, fuhr er mit einer bösen Ahnung heim und probierte echtes Pinguinfleisch. Weil dieses anders schmeckte als das, was ihm die Kannibalen zu essen gegeben hatten, folgerte er, daß er seine Frau verspeist hatte. Er brachte sich um.
Ein weiteres Rätsel ist die Geschichte von dem Blinden, der nach H. fährt, um sich das Augenlicht wiedergeben zu lassen. Auf der Rückfahrt von H. nach BI. springt er aus dem Zug. Ich soll raten, weshalb der Mann sich umgebracht hat. Wieder löse ich das Rätsel nicht. Der Grund war, daß der Mann in einem Tunnel glaubte, er sei wieder blind.
"Das ist wohl auch das blödste Rätsel", meint Rafa.
Dies gilt umso mehr, als ich bezweifeln möchte, daß es auf der Strecke zwischen H. und BI. überhaupt einen Tunnel gibt, und dann auch noch einen, in dem es stockfinster wird - immer bedacht, daß in Zügen gewöhnlich stets ein Notlicht brennt.
Rafa gibt mir gleich noch ein Rätsel auf:
"In der Wüste liegt eine Röhre, und zwei Männer gucken 'rein, der eine Mann von der einen Seite und der andere von der anderen Seite. Und beide sehen sie am anderen Ende nur die Wüste. Wie geht das?"
Wir rätseln gemeinsam, kommen aber nicht auf die Lösung.
"Hähä", lacht Rafa. "Sie gucken zu verschiedenen Zeiten durch die Röhre. Hahahaha ..."
Beim Essen unterhalten wir uns über Tequilaflaschen, in denen ein toter Wurm schwimmt.
"Am schärfsten sind ja diese Lollis, wo so ein Wurm drin ist", findet Rafa. "Die heißen 'Tequila'. Da hat Tessa mich draufgebracht, damals. War echt cool."
"Ach, diese Lollis mit dem Wurm?" sage ich mit einem bösen Unterton. "Ach, das paßt ja zu der."
"Ja, das war echt voll die witzige Idee."
"Ich meine, weil sie ja selber so ein widerlicher Wurm ist, he?"
"Ou Mann, du bist ja echt sowas von unverschämt", regt Rafa sich auf. "Ich versteh' überhaupt nicht, wie du es wagen kannst, über eine absolut schöne Frau sowas zu erzählen."
Gleich gebe ich heraus:
"Und ich versteh' nicht, wie du es wagen kannst, eine häßliche Frau in den Himmel zu heben, wenn neben dir eine sitzt, die schöner ist als alle anderen zusammen."
"Ihr redet echt, als ob ihr verheiratet wärt", finden Saara und Tonia.
Ich klopfe Rafa auf die Schulter und sage:
"Sind wir ja auch schon fast."
"Echt, du spinnst echt!" ruft er. "Ha, ha, ha!"
"Du auch", entgegne ich sanft.
"Das ist echt wie im Fernsehen!" freuen sich Saara und Tonia.
"Er und ich, wir sind in der Beziehung beide gleich - wir treiben es immer bis zum Äußersten", erkläre ich mit einem Blick auf Rafa. "Er provoziert so lange, bis ich ihm eins überziehe, und dann wundert er sich, daß es wehtut."
Die Mädchen lachen.
"Er weiß - wenn er provoziert, kriegt er immer gleich eins aufs Brett", fahre ich fort.
"Auf was für ein Brett?" fragt Rafa.
"Na ja, auf das Brett vor deinem Kopf!"
"Also, der Mann, der dich mal heiratet, der tut mir echt leid", sagt Rafa voller Verachtung.
"Du badest in Selbstmitleid", schlußfolgere ich.
Rafa sucht nach heftigeren Formulierungen:
"Der Mann, der dich mal heiratet ... der muß echt schon einen Schaden haben."
"Den hast du ja auch schon."
"Was sich neckt, das liebt sich", murmelt Saara.
"Das war echt so lustig, wie die dich die Treppe 'runtergeschmissen hat, ha, ha!" lacht Rafa. "Wir haben echt noch lange gelacht nachher!"
"Ich bin eben viel zu edel, um zurückzuhauen", erkläre ich. "Ich habe lieber gewartet, bis du gekommen bist, um dich für die zu entschuldigen."
"Jaa, wenn du zurückgehauen hättest, dann hättest du aber drei Tage lang die Sonne nicht mehr gesehen!"
"Ich wollte mir an der eh nicht die Hände dreckig machen. Ich hatte keine Lust, sowas anzufassen. Igitt! Dann hätte ich mir ja ein Jahr lang die Hände gewaschen!"
"Du bist echt unmöglich ...", ringt Rafa nach Worten. "Echt - unmöglich ..."
"Jetzt bleibt dir gleich der Bissen im Halse stecken, was?" vermute ich. "Du weißt ganz genau, daß ich explodiere, wenn du von dieser Person zu reden anfängst."
"Du hast doch angefangen."
"Nein, du hast den Namen ausgesprochen. Du hast den Namen ins Spiel gebracht. Das hättest du nicht tun müssen. Du weißt doch, daß ich dann an die Decke gehe."
"Nein, du hast ja behauptet, sie sei ein ekliger Wurm."
"Ja, aber du hast ja den Namen erwähnt. Du darfst halt den Namen nicht sagen; das alleine provoziert mich ja schon."
An die Mädchen gewandt, setze ich hinzu:
"Er braucht nur 'Tessa' zu sagen, und ich explodiere, auch noch in zwanzig Jahren."
"Wieso, ich explodiere doch auch nicht, wenn du von Jochen redest", sagt Rafa frech.
Er weiß, daß ich an den Sockenschuß genauso ungern erinnert werde wie an die Sängerin.
"Haa, der Sockenschuß!" rufe ich. "Der! Haha! Der Rafa, der hat den doch aus der Szene getreten für mich! Der hat sich doch für mich mit dem Kerl geschlagen!"
"Ich schlage niemanden", schaltet sich Rafa dazwischen.
"Oh, dem Sockenschuß hast du aber eins draufgegeben", widerspreche ich.
"Und vorher warst du drei Jahre mit dem zusammen", ergänzt Rafa.
"Quatsch!" rufe ich. "Der hat mich fünf Jahre lang verfolgt!"
"Dann war der zwei Jahre lang mit mir zusammen."
"Ja, und danach warst du mit der Kaiserin von China zusammen. - Nein, du hast dich mit dem Sockenschuß geschlagen. Du hast den in der 'Halle' gegen eine Säule geknallt. Und zwar meinetwegen."
"Das war gar nicht deinetwegen", behauptet Rafa. "Das war aus Prinzip."
"Es war meinetwegen", bin ich sicher. "Meinetwegen hat sich Rafa auch schon mit Lennart Brehler geprügelt."
"Lennart Brehler?" fragt der Kellner. "Ha, ha! Ich war vier Jahre lang sein Betreuer!"
"Was, du kennst den?" staunen wir.
Ich frage mich, inwiefern und weshalb Lennart Brehler einen Betreuer gebraucht hat. Ich möchte das Thema aber nicht weiter verfolgen, da ich nicht weiß, wie Tonia zu Lennart Brehler steht.
"Wißt ihr, was der Sockenschuß über mich gesagt hat?" fahre ich fort, den Mädchen von früher zu erzählen. "Der hat gesagt:
'Die Hetty, die popelt genau so, wie ich pople, und das provoziert mich.'
Und da hat der Rafa den geschnappt und gegen eine Säule geknallt, und mit so einer Wucht, daß der Sockenschuß mich nie wieder angefaßt hat und sich nie wieder getraut hat, mich anzugreifen. Ich war ja nirgendwo mehr sicher, ne? Der hat mir aufgelauert ... ich mußte nur an die Bushaltestelle gehen - der Sockenschuß war da! Und in BS. hat er Carl und mich bis zum Bahnsteig verfolgt und mit Steinchen beworfen und gerufen:
'Ich krieg' dich, ich krieg' dich!'
Mein Vater hat den Sockenschuß am Kragen gepackt und geschüttelt, Carl hat den angebrüllt ... hat nichts gebracht. Rafa war der Einzige, der es geschafft hat, mich von dem Kerl zu erlösen."
"Ein Held", findet Saara.
"Ja, ein Held", nicke ich ernst. "Aber das hat er gar nicht gerne, wenn ich ihn lobe; dann wird er nämlich immer verlegen."
"Ich habe mit dir ja schon im Sandkasten gespielt", will Rafa mir herausgeben. "Deshalb weißt du über mich einfach alles, sogar das, was ich selbst nicht über mich weiß. Wenn ich über mich mal eine Frage habe oder sonst nicht weiß, was ich machen soll, rufe ich einfach bei dir an, und du sagst es mir."
"Mensch, da kriegt man echt Einblicke, Rafa!" haut Anwar in die Kerbe. "Das sind ja Sachen, die ich von dir noch gar nicht wußte! Da haben wir uns alle nur eingebildet, wir wüßten über dich bescheid. Irgendjemand weiß das alles noch viel besser!"
Ich schweige. Ich will mich nicht dazu herablassen, mit Anwar zu streiten. Rafa schaut mich an und fragt:
"Na? Verstummt? Nichts mehr zu sagen? Keine Worte?"
Ich zucke mit den Schultern und esse das letzte Baguette, das ich mit Mozzarella und Tomaten belegt habe.
"Das ist übrigens meine Baguettehälfte", setzt Rafa mich in Kenntnis.
"Oh, das tut mir leid", entschuldige ich mich. "Willst du die haben?"
"Ach, ist schon gut, iß' sie."
Er schaut mir beim Essen zu und fängt an, mich zu maßregeln:
"Sag' mal, wie ißt denn du? Was is'n das?"
Ich gehe nicht darauf ein, und schon bald gibt er wieder Ruhe. Er geht mit Benedict und Anwar in den Keller zum Flipperkasten. Die Jungen bleiben dort für eine halbe Stunde. Vielleicht will Rafa sich beim Flippern ein wenig ausruhen von der Aufregung. Ruhe habe auch ich nötig.
"Es hat mich sehr angestrengt, Rafa fertigzumachen", erzähle ich Tonia. "Aber ich mußte es tun. Ich muß mich immer aufregen, wenn der Name dieser Person fällt. Und das ist sehr anstrengend, sich aufzuregen."
Als wir wieder alle am Tisch versammelt sind, wird es langsam Tag. Rafa sorgt auf seine Art dafür, daß er und seine Begleiter den ersten Zug nach SHG. verpassen. Benedict und Anwar erkundigen sich danach, wann der Zug fährt, und Rafa antwortet:
"Vier Uhr siebenundfünfzig."
Es ist fünf nach halb fünf.
"Dann müssen wir jetzt los", sagen Benedict und Anwar.
"Ach, Quatsch", erwidert Rafa, "da ist doch noch jede Menge Zeit! Ach, da haben wir doch noch Zeit! So, Hetty, willst du noch ein Rätsel haben?"
Das will ich gern.
"Also, paß' auf", beginnt er. "Da ist ein Tisch, darauf liegen lauter Spielkarten. Und um den Tisch herum liegen drei Männer. Zwei haben ein Loch im Kopf und einer nicht. Alle sind tot. Warum sind die tot?"
Ich rate und rate. Unter anderem versuche ich zu erraten, wo sich die Männer befinden. Ich frage, ob sie auf einem Schiff sind, das im Hafen auf dem Wasser liegt.
"'Schiff' ist schon mal gar nicht schlecht", lobt Rafa. "Und welches Schiff liegt im Wasser und nicht auf dem Wasser?"
"Ein U-Boot."
"Jaa!" ruft er. "Bravo!"
Zur Lösung des Rätsels führt mich das aber noch lange nicht. Ich gebe schließlich auf. Rafa erzählt, daß die drei Männer mit ihrem U-Boot auf Grund liegen. Die Männer spielen mit ihren Karten um den letzten Sauerstoff. Die zwei, die verlieren, müssen sich erschießen. Der Gewinner darf noch eine Weile leben und den Sauerstoffvorrat aufbrauchen. Am Ende erstickt er.
Ich möchte wissen, warum die Männer nicht aus dem U-Boot ausgestiegen und an die Wasseroberfläche geschwommen sind.
"Aussteigen?" lachen die Jungen. "Da kannst du nicht einfach aussteigen! Was glaubst du, was da unten für ein Druck herrscht!"
Es wird viertel vor fünf.
"Jetzt müßten wir aber los", drängen Benedict und Anwar.
"Schaffen wir nicht mehr!" ist Rafa überzeugt. "Schaffen wir nicht mehr, Quatsch!"
"Wieso, du hast doch eben gesagt, wir hätten noch Zeit."
"Der Zug fährt so ... zweiundfünfzig, dreiundfünfzig oder vierundfünfzig", behauptet Rafa jetzt auf einmal. "Den kriegen wir auf keinen Fall. Normalerweise war ich immer viertel vor schon am Bahnhof, und da mußte ich mich schon total beeilen."
"Los, komm', wenn wir uns beeilen, müßten wir das doch schaffen."
"Nee - schaffen wir nicht mehr", sagt Rafa und wirkt zufrieden. "Schaffen wir nicht mehr. Müssen wir den nächsten nehmen."
Einen Augenblick später macht er Vorschläge:
"Oder ... wir schlafen alle bei Saara. Ach, nee - wir schlafen alle bei Hetty."
Ich bin mir sicherer als je, daß Rafa von Anfang an den Wunsch hatte, mich zu besuchen, und daß er nicht heimfahren will, ohne bei mir gewesen zu sein. Ich unterstütze seinen Wunsch:
"Ich habe ein Riesen-Gästezimmer, mit zwei Matratzen und Platz für mehrere Leute."
"Ja, los, o.k.", sagen die anderen.
"O.k., wir schlafen alle bei Hetty", sagt Rafa schnell. "O.k."
Er scheint erleichtert darüber zu sein, daß sein Vorschlag angenommen wurde. Er wird geschäftig und will aufbrechen. Fürsorglich zupft er mir einen Fussel vom Mantel. Auf dem Weg zur U-Bahn albern wir Mädchen über AIDS. Mein neuer Spruch ist "AIDSlichen Glückwunsch".
Während wir nach Bc. fahren, blättert Rafa in einem Kinoprogramm. Darin gibt es ein Preisrätsel.
"Wie heißt der Hauptdarsteller in dem 'Dracula'-Film von Coppola?" stellt Rafa mir die Preisfrage.
"Gary Oldman."
"Bist du dir sicher?"
"Ja, ich bin ganz sicher. Das war Gary Oldman."
"Hast du einen Stift ... einen Umschlag ... eine Briefmarke ... eine Postkarte ..."
Ich gebe ihm einen Kugelschreiber. Rafa beschäftigt sich in der Bahn und auf dem Weg zu meiner Wohnung eifrig damit, den Coupon auszufüllen. Ich erzähle den Mädchen, daß ich bei Nacht nicht mehr allein nach Hause gehe, weil es so viele Verbrecher gibt, die einem auflauern. Ich finde es schön, in einer Gruppe durch den Park gehen zu können.
"Gehen wir denn auch richtig?" fragt Rafa unruhig. "Gehen wir denn nicht falsch? Müssen wir nicht da vorne lang? Ist das nicht noch ganz weit?"
Ich versichere ihm, daß wir gleich da sein werden. Er zweifelt an meinen Worten. Ich muß ihm erst das Haus zeigen, ehe er mir glaubt.
"Ist Carl da?" fragt Rafa kurz darauf.
"Der Carl, der ist doch gar nicht mehr hier", rufe ich ihm ins Gedächtnis.
"Ja, wann kommt Carl denn zurück?"
"Rafa, der Carl, der wohnt hier gar nicht."
"Ja, wann - wann kommt der denn wieder?"
"Der kommt gar nicht mehr wieder. Der hat jetzt sein Zimmer ..."
"Schade", meint Rafa. "Ich hätte mich mit ihm gerne ein bißchen unterhalten."
"Du kannst ihn doch mal besuchen."
"Aber der mag mich doch gar nicht."
"Das stimmt nicht. Der mag dich gern."
"Ach, das glaube ich nicht."
"Doch, doch! Der mag dich wirklich!"
"Ach! Ach, ach, das glaube ich nicht."
"Doch, glaub' es mir! Carl mag dich. Und meine Schwester mag dich auch."
"Ha! Deine Schwester! Ha!"
"Der Carl mag dich schon. Und er redet auch gerne mit dir."
"Aber der hat doch noch nie mit mir geredet."
"Oh, der hat schon mit dir geredet."
"Ja? Das weiß ich gar nicht mehr."
"Doch, doch, der hat schon mit dir geredet. Du hast dein Hemd hochgehoben und ihm dein durchsichtiges Unterhemd aus Chiffon gezeigt ..."
"Durchsichtig? Aus Chiffon? Das geht doch gar nicht."
"Und du hast ihn gefragt, wie er deine neue Hose findet ..."
Kaum sind wir drinnen, verlangt Rafa mehrere Dinge auf einmal:
"Postkarte, Briefmarke, Schere, Klebstoff ..."
Ich bringe ihm eine Schere und einen Briefumschlag. Er hat sich an den Tisch gesetzt, auf den Stuhl am Fenster, "seinen" Stuhl. Er schneidet den Coupon aus und krikelt Adresse und Absender auf den Umschlag. Dann will er eine Briefmarke haben, aber die habe ich nicht. Rafa packt den Brief in seine Tasche. Das zerschnittene Kinoprogramm läßt er auf dem Tisch liegen und verwendet es wie ein Platzdeckchen.
Tonia will die Katze sehen. Rafa ruft auch nach dem Tier und lockt es. Anwar und Benedict legen sich im Balkonzimmer schlafen.
"Hast du vielleicht eine Bürste?" fragt mich Rafa, als er kurz ins Bad gehen will. "Eine Haarbürste oder einen Kamm oder sowas? Ach, ja, du hast bestimmt wieder nur so ein komisches gebogenes Ding. Du hast bestimmt keine richtige Bürste."
Ich gebe ihm die Rundbürste.
"Ja, ja, die kenne ich schon", sagt Rafa. "Gib' her; vielleicht geht es doch."
Als Rafa im Bad fertig ist, öffnet er die Tür zum Balkonzimmer und schaltet das Schwarzlicht an, um die Schlafenden zu ärgern. Wahrscheinlich verunsichert es ihn, daß die Jungen nicht verfügbar sind.
Die Gäste, die noch wach sind, stürzen sich auf die Glasschalen mit Süßigkeiten aus Weingummi und Schaumzucker. Rafa kritzelt für Saara einen Liebesbrief auf ein Stück Papier:
"Liebe Saara, ich denk' an dich, denk' an mich."
Ich bringe Kaffee. Rafa bekommt wieder die Tasse mit der schwarzen Katze. Er will Milch und Zucker. Die Halbliter-Milchtüte belächelt er:
"So ein bißchen trinke ich mit einem Schluck weg."
Rafa schüttet sich den Zucker aus der Dose in die Tasse, damit der Zucker nicht durch den nassen Kaffeelöffel verunreinigt wird. Weil ich sage, daß ich es nicht mag, wenn nasse Löffel auf den Tisch gelegt werden, legt Rafa den Löffel auf sein Brett; einmal stellt er den Löffel auch in eine Tasse, die nicht mehr gebraucht wird. Er läßt sich viel einfallen, um Rücksicht auf meine Schwächen zu nehmen. Das beruhigt mich sehr. Manch ein Gast leidet unter meinen überstarken Ekelempfinden und erlebt es als Zumutung, dauernd auf meine Besonderheiten und Empfindlichkeiten achten zu müssen. Rafa muß ein Leben lang darauf achten können, ohne daß es ihn belastet; nur so kommen wir miteinander aus, und ich fühle mich bei ihm geborgen.
In meinem Tapedeck läuft "Fugitive" von Zoviet France. Diese Neoklassik-Ambient-Industrial-Musik ist für Rafa zu abgehoben. Er will etwas anderes hören.
"Nicht so ein Gejaule", lästert er. "Lieber was mit Rhythmus."
Also mache ich etwas an, das ein wenig verträglicher ist.
Rafa möchte sich mein neuestes Fotoalbum anschauen. Ich schaffe es nicht, mich zu Rafa und den Mädchen an den Tisch zu setzen. Ich bleibe dicht neben Rafa stehen, weil ich ihm auf diese Weise am nächsten bin. Er blättert das Album so hastig durch, daß er die Bilder gar nicht richtig anschauen kann. Vielleicht macht es ihm Angst, zu sehen, wie ich ihn fotografiert habe.
"Und deine Schwester, ist die immer noch mit dem zusammen?" fragt er, als er ein Bild von Derek sieht.
"Ja, und wie", nicke ich. "Die sind noch immer zusammen. Die wohnen ja sogar zusammen in einer Wohnung. Die sind immer noch zusammen."
"Ach, jetzt wird mir so manches klar!" tut Rafa geheimnisvoll. "So reimt man sich die Sachen zusammen."
Über das Foto von seiner Uhr sage ich:
"Hier - das ist das Beweisfoto dafür, daß die wirklich da war."
"Wieso hast du die denn fotografiert?"
"Weil ich nie vergessen will, wie die aussieht."
Das letzte Foto im Album zeigt den Hampelmann, den Rafa mir zum Geburtstag geschenkt hat.
"Wo hängt der jetzt?" fragt er.
"An der Schreibtischlampe", antworte ich. "Warum hast du mir eigentlich einen Hampelmann geschenkt?"
"Das weiß ich nicht."
"Wo hast du denn nun die Tarotkarte her, obwohl du gar kein Tarotspiel hast?"
"Die ist irgendwo mal mit bei gewesen; bei irgendeinem Buch oder so war die mit drin. Weißt du denn, was die bedeutet?"
"Große Veränderung für zwei Menschen. Was Bestehendes bricht zusammen, unter dem Einfluß einer großen Macht. Es geht aber auch um Zerstörung und um Neubeginn. Das habe ich dir aber schon erzählt, im 'Elizium' ... Wie bist du eigentlich darauf gekommen, mir den Bibelspruch auf die Geburtstagskarte zu schreiben?
'Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, was gepflanzt ist.'
Wie bist du denn darauf gekommen, mir gerade diesen Spruch aufzuschreiben?"
"Das heißt einfach nur, daß alles seine Zeit hat", meint Rafa. "Was kommen muß, das kommt."
"Und weshalb hast du mir das gerade zu meinem Geburtstag aufgeschrieben?"
"Das ist eben mein Spruch; das ist ein Motto für mich."
"Du hast mir also dein Lebensmotto aufgeschrieben."
"Es war eine Idee von Muttchen", erzählt Rafa. "Die hat gesehen, wie ich die ganzen Sachen zusammengesucht habe für das Geschenk. Ich wollte noch einen schönen Spruch auf die Karte schreiben, so wie ... 'Blaue Augen, roter Mund ...', wie man es ins Poesiealbum schreibt. Und ich habe gefragt, was ich da für einen nehmen könnte und ob sie nicht einen weiß. Und da hat sie gesagt, ich soll doch mal in der Bibel nachgucken; da würde ich bestimmt was finden. Und dann habe ich mir die Bibel genommen und 'reingeguckt, und da fiel mir als Erstes gleich dieser Spruch ins Auge."
"Das ist aber seltsam, weil das einer der bekanntesten Bibelsprüche überhaupt ist."
"Seltsam, nicht?"
"Weißt du, wann man den ganz besonders oft nimmt? Bei Beerdigungen."
"Ach."
"Um die trauernden Angehörigen zu trösten."
"Der Spruch ist immer so ein Motto für mich gewesen."
"Ja, du armer Angehöriger ... Warum hast du eigentlich die Augen vom 'Kleinen Feigling' ins Gästebuch gemalt?"
"Welches Gästebuch?"
"Das weißt du nicht mehr? Ich habe doch auf der Party ein Gästebuch angelegt, und viele Leute haben 'reingeschrieben - du auch."
"Zeig' mir das mal."
Er schaut sich seine Eintragung im Gästebuch an. Die Augen kann er nicht dem 'Kleinen Feigling' zuordnen, und er kann auch nicht erklären, weshalb er sie unter seinen Spruch gemalt hat.
"Wie ist es denn eigentlich zu dem Ende des 'Exil' gekommen?" möchte ich als Nächstes wissen. "Das hat Kappa doch gar nicht mehr gehört."
"Das 'Exil' hat Kappa nie gehört."
"Das hat immer nur Blanda und Said gehört?"
"Ja."
"Und warum hat das zugemacht?"
"Das hat sich wohl nicht rentiert."
"Und warum haben die so von einem auf den anderen Tag geschlossen, ohne Vorankündigung?"
"Da sind mehrere Dinge zusammengekommen", berichtet Rafa. "Said mußte sich entscheiden. Er hatte die Möglichkeit, die Pizzeria zu übernehmen ..."
"Und das war ihm dann wohl sicherer, als das 'Exil' zu halten."
"Ja."
Die Mädchen fragen Rafa, welche Jobs er jetzt habe.
"Das ist halt das 'Contrast'", erzählt er. "Und eben - ich mache zur Zeit viel Musik. Vor zwei Tagen habe ich mit meiner neuen CD angefangen. Zwei Stücke sind schon fertig."
"Und das eine ist 'Wir lieben kalt'?" vermute ich.
"Nein, 'Wir lieben kalt' ist nicht fertiggeworden."
"Oh, schade, das fand ich eigentlich ganz gut. Ich bin ja echt neugierig, wie die Sachen sind, die du gemacht hast."
"Ein Lied geht so: 'Tanze mit mir die ganze Nacht ...'"
"Ja, Rafa, aber du gehst doch nie auf die Tanzfläche", merke ich an.
"Ach, Tanzen ... das kann auch alles andere sein", erklärt Rafa, "was einen irgendwie von der Wirklichkeit wegträgt."
"Ach so, dann kann es auch heißen: 'Kiffe mit mir die ganze Nacht ...'"
"Ja, ja."
"Oder: 'Kokse mit mir die ganze Nacht ...' Warum sagst du dann: 'Tanze mit mir die ganze Nacht ...', wenn du gar nicht tanzt?"
"'Tanze mit mir die ganze Nacht ...', das klingt halt besser."
"Ich würde mich so freuen, wenn du mir deine Version von 'Gothic Erotic' von Umbra et Imago aufnehmen könntest."
"Die gibt es nicht mehr."
"Was, die gibt es nicht mehr?" frage ich entgeistert.
"Nein, die gibt es nicht mehr. Die ist verschollen. Die ist weg."
"Was - die ist verschwunden? Wie ist denn das möglich?"
"Ja, weiß ich nicht ... das Dat ist kaputtgegangen ..."
"Ja, was, aber das kann doch nicht völlig weg sein! Da kann es doch nicht nur eine Aufnahme von gegeben haben!"
"Doch, da gab es nur eine."
"Oh, nein!"
"Warum, was ist daran so schlimm?"
"Ich fand das echt so geil, das Stück. Ich fand das so geil. Ich habe Tränen gelacht, als ich das gehört habe. Vielleicht kann man das Dat noch flicken."
Ich frage nach, welches Stück außerdem noch fertiggeworden ist.
"Ja, einmal '1000 Küsse'", antwortet Rafa. "Und das andere Lied ist gegen Drogen."
"Aach, das ist doch ein totaler Widerspruch. Du singst gegen Drogen und nimmst selbst welche."
"W.E nimmt keine Drogen."
"Ja, aber was ist mit den Drogen des Alltags, Alkohol und Zigaretten und so? Du rauchst wie ein Verrückter und knallst dich mit Alkohol voll. Das ist doch keine Logik, ich meine ..."
"Ja, wieso? Ich nehme Drogen. Aber ich bin doch nicht W.E."
"Du hast doch echt eine gespaltene Persönlichkeit", deute ich. "Auf der einen Seite bist du total gegen Drogen, und auf der anderen nimmst du selbst welche."
"Jeder muß doch irgendwas haben", rechtfertigt sich Rafa.
"Aber eine Sucht ist eine Krankheit", halte ich dagegen. "Die muß man doch nicht einfach hinnehmen. Da kann man doch vielleicht darüber nachdenken, wie man die wieder heilen kann."
"Irgendein Laster muß man doch haben. Sonst lebt man doch gar nicht. Sonst kann man sich doch gleich in den Sarg legen."
"Aber man kann aber doch auch etwas machen, mit dem man sich nicht gleich kaputtmacht."
"Irgendwas muß man doch falsch machen."
"Rauchen ist gefährlich", predige ich. "Davon kriegt man Krebs."
"Ey, gib' mir mal die Zigaretten; ich muß mir erstmal eine anstecken."
"Du hast wirklich eine gespaltene Persönlichkeit", sage ich kopfschüttelnd. "Was willst du deinen Kindern für ein Vorbild sein? Was lernen die denn von dir, wenn ihr Vater am Frühstückstisch sitzt und raucht? Dann lernen die, Rauchen ist was Gutes, he?"
"Na, ja ... dafür hab' ich ja dann dich", sagt Rafa lächelnd.
Er tut so, als wollte er mit mir Ehe und Familie planen. Wir Mädchen kichern. Gerührt lege ich eine Hand auf Rafas Schulter.
"Ach, du meinst, ich soll mit meinem guten Einfluß deinen schlechten ausgleichen", folgere ich. "Aber du wirst bestimmt wunderbar mit deinen Kindern spielen können. Du wirst ein sehr guter Spielgefährte für die sein. Das kann ich mir richtig vorstellen - verspielt, wie du bist."
"Wieso ... wann willst'n mal Kinder haben?"
"So bald es geht."
"Na, dann mußt du dich ja mal 'ranhalten, ne?" mahnt er. "Die Zeit rast."
"Wann willst du denn Kinder haben?"
"Irgendwann wach' ich auf und weiß: jetzt. Ich sage ja - alles zu seiner Zeit."
"Season of the Witch" von Xingu Hill ist zu hören.
"Was ist denn das?" fragt Rafa.
"Das ist Rhythmus", erkläre ich. "Das ist Xingu Hill, das ist von einem Sampler von einem Magazin, die haben auch eine gute Rezension über euch geschrieben."
"Ja, 'The amazing sounds of W.E ...'", zitiert er stolz.
"Da stand auch drin: 'You can love it or hate it, nothing between.'"
"So ist es ja auch."
"Ab dieser CD kriegt ihr gute Rezensionen. Vorher wurdet ihr immer nur zerrissen."
Rafa wirft einen Blick ins Videoregal. Dann kommt er zurück an den Kaffeetisch und meint lachend, da müsse er wieder allerlei mitnehmen.
"Wieder zwanzig?" frage ich.
"Wenn das reicht", sagt er.
Er sucht weiter in dem Regal herum. Wir hören ihn laut auflachen, wenn er ein Video entdeckt, das in seiner Sammlung fehlt. Rafa kommt oft herüber und hat Fragen an mich:
"Hier - 'Die weiße Rose', ist das ein deutscher Film? Über die Geschwister Scholl?"
"Na klar", antworte ich. "Das ist ein sehr guter Film. Muß man kennen. Ganz wichtig."
Rafa will die Kassette mitnehmen. Während er im kleinen Zimmer noch mehr Videos heraussucht, erzähle ich Saara und Tonia:
"Sein Bruder wußte gar nicht, wer die Geschwister Scholl waren. Wir haben mal über Helden geredet. Er findet, Helden sind so Leute, zu denen die anderen aufsehen, Hitler, Napoleon und so weiter - auch wenn das nicht heißen muß, daß er die gut findet. Ich habe ihm gesagt, Helden sind für mich die Helden des Alltags, die Menschen mit Zivilcourage. Er hat mich gefragt, ob ich welche nennen kann, und da habe ich gemeint, wo wir mal bei den Prominenten sind - die Geschwister Scholl sind für mich Helden. Und da hat er gesagt, die Geschwister Scholl kennt er nicht. Echt, ich bin fast vom Glauben abgefallen. Er als erwachsener Mensch weiß nicht, wer die Geschwister Scholl waren."
"Dafür weiß er andere wichtige Sachen!" meldet sich Rafa, der uns zuhört.
"Ja, das stimmt", bestätige ich, "der weiß viele wichtige Sachen. Aber das mit den Geschwistern Scholl, das wußte er nicht. Ich war völlig entsetzt."
"Der lebt eben in seiner eigenen Welt; deswegen weiß er das nicht", nimmt ihn Rafa in Schutz.
"Na ja, es gehört eigentlich zur Allgemeinbildung", gebe ich zu bedenken.
Ich erzähle den Mädchen auch, wie eklig ich das finde, wenn jemand mit allen möglichen Leuten schläft, zumal dabei außer AIDS noch viele andere Geschlechtskrankheiten übertragen werden können. Rafa soll das ruhig ebenfalls hören ...
Inzwischen ist es hell geworden. Die Mädchen wollen aufbrechen und Rafa in meiner Obhut lassen.
"Wie geht es denn zur Tankstelle?" fragt er.
"Du, wir gehen da jetzt gemeinsam 'rüber", erwidere ich. "Das macht gar nichts. Wir gehen da gemeinsam hin."
Rafa schaltet meinen Anrufbeantworter auf "Wiedergabe". Als echter Schelm will er herausfinden, was mir die Leute so am Telefon erzählen. Ich mache dem bösen Spiel mit einem Knopfdruck rasch ein Ende. Da beginnt Rafa schon den nächsten Unfug. Er geht ins Balkonzimmer und versucht, Benedict und Anwar zu wecken. Mit leisem Schimpfen ziehe ich ihn weg von den Betten der Schlafenden.
"So, Rafa, nee, nee, nein, nein, nein", flüstere ich. "Du läßt die Jungen in Ruhe schlafen, und wir gehen jetzt zur Tankstelle."
Rafa fügt sich erstaunlich schnell. Er trottet brav nach draußen. Wir verabschieden uns von Saara und Tonia.
"Das habe ich wieder gut eingefädelt, was?" raunt Saara mir zu.
Ich spare nicht mit Lob.
"Was habt ihr denn da zu quatschen?" fragt Rafa argwöhnisch.
"Ach, nichts", winke ich ab, "ist schon gut, ist schon gar nichts."
Die Mädchen gehen zur Bahn. Rafa und ich schlagen den Weg zur Tankstelle ein.
"Das ist so ein schönes Wetter", freue ich mich. "Ich mag das, wenn eben die Sonne aufgeht."
Das Licht der Morgensonne wird vom Nebel gedämpft. Es friert, und Rauhreif glitzert auf dem Gehwegpflaster.
"Jetzt essen wir was, und dann legen wir uns schön ins Bett ...", ordne ich an.
"Nein!" wehrt Rafa ab. "Ich will nicht ins Bett."
"Doch, du kommst mit ins Bett."
"Nein, ich muß sowieso ziemlich früh nach SHG."
"Ach, Quatsch."
"Doch, ich muß spätestens um zwölf Uhr nach SHG."
"Aber bis dahin ist es doch noch ein bißchen Zeit."
"Ja, aber ich will nicht ins Bett. Wenn ich mich hinlege, bin ich nur fertig; dann kann ich nicht mehr aufstehen. Ich gucke lieber einen Film."
"Nein, du kommst dann mit mir ins Bett. Du kommst mit mir ins Zimmer und setzt dich auf die Bettkante. Film ist nicht. Außerdem stört mich das beim Schlafen."
"Können wir leise machen."
"Nee, nee, Film ist nicht."
An einer Garagenmauer steht ein alter Einkaufswagen voller Sperrmüll, bedeckt mit einer Reifschicht. Rafa läuft hin und will in dem Gerümpel herumsuchen. Ich gebe ihm zu verstehen, daß es besser ist, wenn er seine Schätze auf dem Rückweg ausgräbt. Rafa folgt mir zur Tankstelle.
"Das muß ich mir nachher unbedingt nochmal angucken", sagt er begeistert.
"Du kannst ja den Einkaufswagen mitnehmen", schlage ich vor. "Kannst du ja nach SHG. schieben, das Teil."
"Was soll ich mit einem Einkaufswagen?"
Im Tankstellenmarkt zeigt mir Rafa ein Fachblatt über Computer- und Videospiele. Er erzählt mir, daß in dieser Zeitschrift seine Single verlost worden ist, mit der er sich gegen Videospiele wendet. Dann sucht er sein Frühstück zusammen:
"Und jetzt noch Zaziki ..."
"Oh, nein!" stöhne ich. "Mußt du wieder Zaziki nehmen?"
"Ist doch geil. Zaziki ist nur geil."
"Igitt, dieses widerliche Zeug! Das ist Kußtod."
Auf dem Rückweg läuft Rafa sogleich zu dem Einkaufswagen und untersucht den Inhalt.
"Das ist immer so interessant, was die Leute alles so wegschmeißen", findet er.
Ich bin froh darüber, daß Rafa nichts mitnimmt von dem Unrat.
"Ich sammle uralte Radios", erzählt er, als wir endlich weitergehen.
"Volksempfänger, he?"
"Volksempfänger habe ich schon", sagt Rafa stolz, "so richtig mit Hakenkreuz und allem."
"Na ja, so ein alter Nazi-Schrott, na ja ..."
"Das ist das nicht; ich meine etwas anderes. Der Volksempfänger, das ist voll das Kult-Teil. Das war das erste Mal, daß die Leute den Rundfunk eingesetzt haben als Propagandamittel, als Mittel zur politischen Meinungsbildung. Die haben das Ding extra billig gemacht, damit sich jeder einen kaufen konnte ..."
"... und dann haben sie da ihre Propaganda drüber verbreitet."
In meiner Wohnung packt Rafa die Einkäufe auf den Tisch und vermeldet:
"So, jetzt hat der Rafa sein Frühstück ..."
Dann ordnet er die Videokassetten, die er sich ausleihen will, zu einem Stapel. Er spricht mich darauf an, daß ich nur neunzehn Videokassetten mitgenommen habe, als ich bei seiner Geburtstagsfeier war. Ich hatte vermutet, daß eine zwanzigste noch bei ihm sei. Rafa erzählt mir, daß er bei sich daheim alles durchsucht habe und keine Kassette mehr entdecken konnte, die von mir stammt. Das macht ihm zu schaffen. Er will seine Schulden beglichen wissen. Inzwischen nimmt Rafa an, daß wir uns verzählt haben, als er sich die Kassetten auslieh.
"Das kann sehr wohl sein, daß wir uns verzählt haben und daß ich tatsächlich alle Kassetten, die mir gehören, auch mitgenommen habe", meine ich. "Das kann sehr wohl sein, daß du keine Kassette von mir mehr hast."
"Wie hieß denn die Kassette?" forscht Rafa. "Was war da drauf?"
"Ach, das weiß ich nicht, welche das gewesen sein könnte. Ich habe doch gar nicht auf die Kassetten geguckt, als du die mitgenommen hast."
"Wenn ich wüßte, was auf der Kassette ist, könnte ich viel gezielter danach suchen."
"Ach, ich weiß doch gar nicht, ob ich überhaupt eine vermisse", will ich Rafa beruhigen. "Mach' dir doch darüber keine Gedanken. Das ist alles gar nicht wild."
Rafa zählt die Videokassetten mehrmals und läßt sie auch mich mehrmals zählen. Er will sichergehen, daß es wirklich fünfzehn sind. "Arsen und Spitzenhäubchen" möchte er sich unter anderem deshalb ansehen, damit er sich die Kassette nicht mehr auszuleihen braucht.
"'Arsen und Spitzenhäubchen' ist der absolute Kultfilm", schwärmt er. "Gefällt er dir nicht so?"
"Natürlich gefällt mir der Film; sonst hätte ich ihn ja nicht aufgenommen."
Rafa betont, daß ich viele Filme habe, die er dringend brauche. Unter diesen ist "Die unglaubliche Geschichte des Mr. C.". Den letzten Satz, den Mr. C. sagt, möchte Rafa als Sample für sein nächstes Album verwenden.
Oft redet er davon, daß er mir endlich ein paar Filme aufnehmen will. Er fühlt sich in meiner Schuld. Ich erinnere ihn daran, daß er mir den Film "Der Fan" aufnehmen wollte.
"Mit meinem Videorecorder kann gar nicht mehr aufnehmen", erzählt Rafa.
Als er die Kassette mit "Arsen und Spitzenhäubchen" einlegen will, bitte ich ihn, das mir zu überlassen. Der Recorder ist kaputt, und man muß einen Trick anwenden, weil die Kassette sonst nicht einrastet. Rafa möchte es unbedingt auf seine Art versuchen. Er klebt ein Stück von einem Aufkleber an die Seite einer Videokassette und schiebt die Kassette in den Recorder.
"He, warum geht die nicht 'rein?" fragt er, als der Recorder sie wieder auswirft. "Das versteh' ich gar nicht."
"Ja, der ist kaputt."
"He, warum geht das nicht?"
"Laß' nur", bitte ich. "Ich möchte den Recorder noch ein Weilchen benutzen; ich habe noch kein Geld für einen neuen."
"He, das geht ja wirklich nicht", gibt Rafa mir schließlich recht. "O.k. - mach' du's. Eins zu null für dich."
Ich lege die Kassette ein. Rafa sieht dabei zu und bemerkt, daß mein Videorecorder "schon ziemlich krank" aussieht.
"So, jetzt setze ich mich mal wieder auf meinen Platz", sagt er, als das Unternehmen geglückt ist, "meinen Stammplatz ..."
"Ja, dein Platz."
Beim Essen guckt Rafa den Film. Er hat sich die Ärmel von seinem schwarzen Hemd hochgekrempelt. Ich stelle mich neben ihn und betrachte seine bloßen Arme, als sei das ein Wunder. Der ganze Mensch Rafa ist für mich ein Wunder, wie er ist, trotz seiner beträchtlichen Fehler und seiner verstörenden Unzulänglichkeiten. Vorsichtig lege ich ihm eine Hand auf den Ärmel und frage:
"Ist das Seide?"
"Ja, 'türlich. 'türlich."
"Das ist süß mit den hochgekrempelten Ärmeln."
"Ja?"
"Das ist echt so süß mit den hochgekrempelten Ärmeln", wiederhole ich und lächle Rafa voller Entzücken an.
"Ja, was - was 's' los?" fragt er.
"Das sieht so süß aus mit den hochgekrempelten Ärmeln."
"Jetzt geht's mir gut", meint Rafa. "Jetzt habe ich Toast, jetzt habe ich Zigaretten, jetzt habe ich einen Film ... und Zaziki ..."
"Ja, und Zaziki", stöhne ich. "Kußtod. Bäh."
"Ja, riech' mal. Riecht echt gut."
"Nee, ich will keinen Kußtod riechen. Igitt. Ich weiß genau, du machst das, um mich zu ärgern, jawoll."
"No - ja."
"Zaziki ist mein Feind, und meinen Feind kann ich nicht riechen."
Rafa ist mit meiner Bewirtung zufrieden, hat aber seinen Spaß daran, mich zu necken, wenn ihm etwas querläuft.
"Sag' mal, was bist denn du für eine Hausfrau?" bekomme ich dann zu hören.
Rafa scheint sich in die Rolle des Ehemannes hineinzudenken und mit Klischees zu spielen.
Ich hole den Fotoapparat. Als ich damit in die Eßecke komme, hält Rafa sein Frühstücksbrett vors Gesicht.
"Geh' doch mal aus dem Bild", scheucht er mich weg.
"Ja, wenn du das Brett wegnimmst, dann gehe ich auch aus dem Bild", erwidere ich. "Dann kann ich dich ja auch endlich knipsen."
Rafa hält sich das Brotbrett seitlich vor und meint:
"So kann ich aber auch gut gucken."
Schließlich beginnt er ein Spielchen. Er nimmt das Brett kurz weg und versucht, es wieder vorzuhalten, ehe ich abdrücke.
Die ersten beiden Toastscheiben reicht er mir über den Tisch. Sie sind verkohlt, weil der Toaster zu hoch eingestellt war.
"Die esse ich nicht mehr", sagt er. "Die kannst du gleich wegwerfen."
"Das will ich auch nicht, daß du die ißt. Ich will doch nicht, daß du Krebs kriegst."
"Krebs kann man vom Rauchen schon kriegen."
"Deshalb sollst du ja auch nicht so viel rauchen."
Als ich Rafa von der Seite fotografieren möchte, hält er sich eilig das Brett vor und sagt leidenschaftlich:
"Ich hasse Profilaufnahmen!"
"Ich mag dein Profil. Du hast ein süßes Profil."
Ich stelle mich neben ihn und schaue ihm dabei zu, wie er sein Toastbrot mit Käse belegt. Er macht das nicht nur ordentlich, sondern regelrecht verspielt. Einen Käsestreifen hält er Kater Bisat hin. Der nimmt ihn aber nicht. Rafa weiß zuerst nicht, was er mit dem Streifen machen soll. Schließlich legt den Streifen mit einer zierlichen Bewegung über die Plastikhand auf meinem Fensterbrett. Diese Hand gehörte früher zu einer Schaufensterdekoration.
"Oh ... süß ...", bin ich begeistert. "Oh, ist das süß ... das ist so niedlich ..."
"He?"
Ich bleibe bei Rafa stehen, und das scheint ihn nervös zu machen.
"Wolltest du nicht duschen?" fragt er.
"Ja, ich mache das jetzt auch."
Nach dem Duschen ziehe ich mein Batistnachthemd mit den Spitzenträgern und den Schleifchen an. Darüber kommt das T-Shirt mit dem Skelett-Muster. Das Hemd ist dünn, und ich will nicht nicht frieren. Rafa ist nicht dazu zu bewegen, ebenfalls zu duschen und mit ins Bett zu kommen. Er versucht immer noch, Bisat mit Käse zu füttern. Er neckt das Tier und lacht vor Vergnügen, wenn es mit der Pfote nach ihm hascht.
Rafa wünscht sich, daß ich mich zu ihm setze, aber dafür habe ich nicht die Ruhe.
"Hast du irgendwas, womit man Musik machen kann?" fragt er.
Ich suche für ihn zwei handtellergroße Spielzeug-Keyboards heraus; das ist alles, was ich habe. Rafa greift nach dem Keyboard, das auch schwarze Tasten hat. Er fragt mich, ob ich das noch brauche und ob ich ihm das geben kann. Als ich zögere, meint er, ich könnte es ihm ja auch nur leihen. Damit bin ich einverstanden.
Rafa kann sich nicht genug darüber ärgern, daß die Batterien der Keyboards leer sind. Er baut "sein" Keyboard auseinander und nimmt die Knopfzellen heraus.
"Ohh, das geht nicht ... warum geht das nicht?" jammert er.
"Ganz klar - weil die Knopfzellen alle sind", erkläre ich. "Nach zehn Jahren sind die dann schon mal alle. Da mußt du nur neue 'reintun; dann geht's wieder."
Rafa schaut sich ein Wort an, das Constri und ich auf die Rückseite des Keyboards geschrieben haben, und fragt:
"Warum steht da 'Daumenverwandte'?"
"Das ist aus einem Heftchen, einem Liederheftchen, das da beilag. Das hatten die Japaner aus dem Englischen schlecht ins Deutsche übersetzt. Das war das Lied 'Where is thumbkin?', und 'thumb' heißt 'Daumen', und 'thumbkin' heißt 'Däumchen', und 'kin' heißt 'Verwandte'. Und dann haben die das nicht kapiert und haben dann daraus gemacht 'Daumenverwandte'."
"Arsen und Spitzenhäubchen" ist noch lange nicht zuende, da läuft Rafa vom Fernseher weg.
"Paß' auf, wir gehen jetzt mal kurz auf Pause, und dann gucke ich mir deine Plattensammlung an", sagt er.
Ich gehe mit Rafa in mein Zimmer. Den Fernseher schalte ich ab, damit er vergißt, den Film weiterzugucken. Die Rechnung geht auf; er vergißt den Film tatsächlich.
Als Rafa an meinem Sofa vorbeikommt, rennt er in seiner Aufregung beinahe den Standaschenbecher um. Der gläserne Aschenbecher verdreht sich mit lautem Klirren. Rafa schiebt ihn sorgsam wieder zurecht und beruhigt sich selbst mit den Worten:
"Ist gar nichts passiert ... ist alles heil geblieben."
Dann sieht er die Wäsche, die ich abgenommen habe, und fragt:
"Was ist denn das?"
"Das ist ein Handtuch."
"Und warum ist das so ein Brett?"
"Das ist aus Leinen. Das wird beim Waschen so."
"No - ja."
"No - ja", ahme ich ihn nach. "No - ja."
"Das ist einfach eine Zusammenfassung von 'nun, ja'."
Rafa zeigt auf sein Lieblingsfoto, auf dem er blondiertes Haar trägt und maskenhaft geschminkt ist, künstlich-süß wie ein Puppenjunge.
"Hier, das Foto, das ist das absolute", meint er.
"Nein, das ist mir viel zu künstlich", entgegne ich. "Das mag ich nicht so besonders. Dies hier finde ich viel besser; da siehst du viel mehr nach Rafa aus."
"Ach, da seh' ich doch aus wie so'n alter Hippie."
Ihm gefällt der Schnappschuß nicht, auf dem er als Gast meiner Geburtstagsfeier mit entspanntem Blick am Tisch sitzt.
Rafa will die "Moorsoldaten" covern. Er will "linker" werden, aber er will keine "harten", ideologisch gefärbten Lieder in sein Repertoire aufnehmen. Rafa erzählt von seinem neuen Band-Logo, das Trabant-Logo aus der DDR-Zeit. Dieses Logo zeigt eine Welle.
"Ich glaube, ich habe etwas für dich", fällt mir ein.
Ich gebe ihm eine Vinylplatte mit DDR-Arbeiterliedern, die mir Philipp ausgeliehen hat. Unter den Titeln sind auch die "Moorsoldaten". Rafa freut sich sehr.
"Mach' mir die beste Aufnahme davon, die du machen kannst", bittet er. "Und achte darauf, daß es eine Chromkassette ist."
"Die hier ist eine der besten Kassetten, die es gibt. Das wird wohl schon reichen für dich."
"Das wird nämlich nachher noch weiterverarbeitet."
"Ja, das weiß ich."
"Das will ich nämlich für meine CD verwenden."
"Das sollst du ja auch. Ich bin schon ganz neugierig darauf, was du daraus machst."
Als Nächstes hole ich für Rafa eine Vinylplatte mit Rundfunkaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg hervor. Rafa ist selig, als ich ihm die Platte vorspiele. Er lacht und freut sich darauf, die alten Aufnahmen zu versampeln. Ganz besonders gefällt ihm das "Verbot ausländischer Sender", ein Propaganda-Hörspiel, das zu dem Konzept seiner Band paßt.
"Zum Schluß war es so, daß die heranrückenden Streitkräfte die Sender gezielt gestört haben über andere Frequenzen", weiß Rafa. "Es gab auch Störsender, die auf derselben Frequenz gesendet haben wie die deutschen Sender und wo ganz andere Sachen erzählt wurden. Da wurden Niederlagen in Siege verwandelt."
Rafa hat sich aufs Sofa gesetzt. Ich will ihn noch einmal fotografieren.
"Oh, Mensch - jetzt nimm' doch mal diese ekelhafte Kamera da weg!" stöhnt er. "Jetzt kann ich mich gerade mal mit dir normal unterhalten, und jetzt kommst du schon wieder mit dieser Kamera an!"
Ich habe Mitleid und lege die Kamera beiseite. Rafa nimmt sich die Zoids und betrachtet sie.
"Gehen die auch mit Batterie?" fragt er.
"Ja, die können auch laufen."
Er schaltet den Säbelzahntiger an, und der läuft. Rafa murmelt:
"Also, das ist echt -"
"Das ist schön, zu spielen, ne? Ah, ja, jetzt spielt er gleich wieder mit den Zoids ..."
"Ha - das ist - 'spielen', was heißt 'spielen'?" steigert Rafa sich in immer größere Entrüstung. "Das - das - ist - ja, das ist kein Kinderspielzeug! Das ist nichts für Kinder!"
"Na, ja - für Erwachsene. Ne? Die spielen damit doch ganz gerne."
"Ja, was heißt 'spielen' ..."
Rafa möchte, daß ich ihm die Zoids einzeln vorstelle.
"Was ist das für einer?" fragt er. "Und was ist das da? Und das, wie geht das?"
Ich sage ihm die Namen der Zoids, und ich zeige ihm, wie sie sich bewegen. Der Transporter-Zoid hat einen Radarschirm, der sich dreht.
"Und das, was ist das?" fragt Rafa und zeigt auf eine Flasche "Gainsboro Exception".
"Das ist Parfüm."
"Ach, und das dreht sich nicht."
"Nein."
Rafa schnüffelt an dem Parfüm und ist skeptisch. Ich komme auf ein anderes Thema zu sprechen:
"Es gibt Videospiele, die finde ich viel gefährlicher als 'Mario'."
"'Mario' ist aber der Anfang!"
"Ich finde es weit gefährlicher, daß die Kinder durch Videospiele an Gewalt gewöhnt werden. Hast du mal 'Doom' gespielt?"
"Nein."
"Das ist ein fürchterliches Spiel", erzähle ich. "Da ist man andauernd gezwungen, irgendwelche Leute abzuschlachten. Das ist echt grauenerregend. Nach einer Viertelstunde wurde mir schlecht."
"Ach ja, das habe ich doch schon mal gesehen. Da fliegen auch Gedärme durch die Luft und solche Sachen."
"Ja, eben, und sowas finde ich ausgesprochen widerlich. Und diese Gewaltverherrlichung ist für mich weit bedenklicher als irgendwelche Lichtblitze, die zu epileptischen Anfällen führen."
"Ich bin ganz allgemein gegen Spielkonsolen. Einfach, daß Eltern ihren Kindern sowas schenken und glauben, sie tun ihnen damit etwas Gutes."
"Aber die Spiele sind doch nicht alle gewaltverherrlichend."
"Die Konsolen sind aber der Schlüssel zu sowas. Die Eltern sollen ihren Kindern lieber einen Computer schenken. Ich bin froh darüber, daß ich als Kind einen Computer gekriegt habe und keine Spielkonsole."
"Ja, mit dem Computer kann man auch viel mehr machen als nur spielen."
"Genau."
Ich setze mich dicht neben Rafa aufs Sofa; allerdings lege ich nicht die Arme um ihn und versuche auch nicht, mich auf ihn zu setzen. Ich würde das gerne tun, aber ich fühle, daß er sich wahrscheinlich wehren wird.
"Hast du auch Spiele auf deinem Computer?" fragt Rafa.
"Dafür habe ich doch gar keinen Platz", antworte ich. "Der Computer ist für mich nur zum Arbeiten da."
"Du spielst gar nicht, ne?"
"Na, ja - ich spiele Schach - mit dir."
"Kannst du Schach?"
"Nein, das richtige Schach nicht. Ich spiele nur Schach mit dir."
"Warum kannst denn du das nicht? Schach ist wichtig."
"Also, ich finde es langweilig."
"Langweilig! Du sagst, du findest es langweilig, und dann sagst du, du würdest mir mir Schach spielen?"
"Na, ja - das mit dir ist Schach auf einer anderen Ebene. Das ist mehr Schach im übertragenen Sinne."
Nach einer Weile fällt mir noch etwas ein:
"Ah ja, Tanzen, das tue ich gern. Tanzen ist ja auch etwas Spielerisches."
"Ach, Tanzen, dein Tanzen, das ist doch was für dich alleine", entgegnet Rafa. "Spielen, das hat doch vor allen Dingen was mit Gemeinschaft zu tun, Geselligkeit und so."
"Das Tanzen auch! Ich tanze sehr ungern alleine. Ich tanze viel lieber mit anderen zusammen."
"Tanzen, das bringt überhaupt nichts. Beim Tanzen, da macht man überhaupt nichts."
"Das tut man sehr wohl. Man entwickelt Möglichkeiten, Klänge in Bewegung umzusetzen."
Ich fühle, daß Rafa nicht in der Verfassung ist, mit mir ein anspruchsvolleres Gespräch zu führen. Ich habe noch viele ernste Fragen an ihn; die möchte ich aber aufheben für einen Tag, an dem er ruhiger ist. Er scheint sich heute sehr vor einem tiefergehenden Gespräch zu fürchten. Seine "Anstandsherren" wird er nicht umsonst mitgenommen haben. Es soll so aussehen, als sei ich nur eine Bekannte, und er, Rafa, macht bei mir einen harmlosen Besuch.
Bisat stolziert auf der Sofalehne herum und schnuppert an Rafas Schulter.
"Der mag mich ja echt gern, der Bisat", freut er sich.
"Ja."
Bisat setzt sich auf die Sofalehne.
"Warum guckt der so verstört?" fragt Rafa.
"Das ist ganz normal", erkläre ich. "Der hält sich einfach da auf, wo Menschen sind. Der geht immer dahin, wo Menschen sind. Da hält er sich auf, zumindest meistens."
Rafa hebt einen Stahlzylinder hoch, der auf einer Reihe von Müllschlackensteinen vor dem Sofa steht.
"Was ist das denn?" fragt er.
"Das ist ein Kerzenhalter."
"Halter! Halter!"
Er läßt das Teelicht abrutschen, das auf den Stahlzylinder gehört.
"Das hält das doch gar nicht", regt er sich auf. "Das ist doch kein Kerzenhalter ... haha ... das hält das doch gar nicht ..."
"Na, ja - ein Kerzenständer."
Rafa schaut sich die CD's in meinem Zimmer an.
"Ha, kaum gucke ich das CD-Regal an, ziehe ich auch schon eine mit W.E 'raus", staunt Rafa und greift nach dem Sampler "An Ideal for Living". "Das war das erste Mal, daß wir auf einer CD waren. Das war toll für uns. Das erste Mal W.E auf CD. Der Sampler ist bestimmt öfter als tausendmal verkauft worden, auch wenn der angeblich auf tausend limitiert war."
Rafa freut sich sehr darüber, daß er mit Neon Judgement auftreten wird.
"Aber die Band ist doch jetzt so schlecht geworden", wende ich ein.
"Ja, aber früher, da war sie kult."
"Das stimmt; früher war sie mal sehr gut."
"Neon Judgement habe ich so bewundert ... ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, mal mit denen gemeinsam aufzutreten. Ich bin auch schon mit Die Form und Laibach aufgetreten ..."
"Ja, ich weiß; in Qu."
"Genau."
Rafa entdeckt in dem Regal auch seine neueste CD.
"Aber die magst du gar nicht, ne?" meint er.
"Na ja, ich finde die schon ganz niedlich."
"Niedlich."
"Ja. Also, ich finde die nicht schlecht."
"In der CD ist echt - so viel drin ..."
Ich will Rafa ein bißchen loben und sage ihm noch einmal, wie sehr mir seine Coverversion von "Gothic Erotic" gefällt:
"Da habe ich echt das Gefühl gehabt, das ist Rafa. Das ist so herrlich zynisch."
"Das habe ich nur mal so eben hingeknallt", wertet er seine Schöpfung ab. "In fünf Minuten habe ich den Text geschrieben, in zwanzig Minuten habe ich es aufgenommen."
"Aber das, gerade das klingt richtig nach dir. Da bist du wirklich locker."
"Ich bin auf meiner ganzen CD locker."
"Ja, aber bei der Umbra et Imago-Version warst du auf eine besondere Art locker. Das war wirklich abgefahren."
"Ich will gar nicht abgefahren klingen."
"Aber ich fand das ja gerade so gut, daß das so abgefahren war."
"Die erste CD von uns hast du aber nicht, ne?" vermutet Rafa.
"Ich kenne sie aber", antworte ich, weil ich weder lügen noch die Wahrheit sagen kann.
"Wie findest denn du die CD?" erkundigt er sich.
Ich kann ihn dafür nur sehr eingeschränkt loben, weil die Sängerin Tessa darauf zu hören ist.
Rafa fragt mich, ob ich ein bestimmtes Stück von In sotto voce habe, "Sequence II". Ich habe es und nehme es für ihn auf. "Sequence II" ist ein hartes EBM-Stück. Rafa stuft es allerdings nicht als "hart" ein. "Hart" sind für ihn die meisten Stücke von Buddy Holly; die empfindet er als hart, weil sie so "schnulzig" sind.
"Call sind echt gar nicht schlecht", sagt Rafa, als er die neue CD der Die Form-Epigonen sieht. "Da habt ihr mich überhaupt erst drauf gebracht; ich hätte das sonst gar nicht angehört."
"Du meinst Laura und mich."
"Ja."
Ich spiele Rafa "Lord of Ages" von Blood Axis vor.
"Das erkennst du wieder", vermute ich. "Du spielst immer diese mittelalterlich klingende Version von dem Stück, und ich muß unbedingt wissen, wie die heißt."
Rafa erkennt die Melodie wirklich, und er sagt mir, daß die mittelalterlich klingende Version von "Lord of Ages" zu dem Soundtrack des Films "Clockwork Orange" gehört.
Rafa reicht mir die CD's zu, von denen er etwas aufgenommen haben möchte. Er geht viel vorsichtiger mit CD's um als vor drei Jahren. Durch seine Arbeit als DJ hat er wohl dazugelernt.
In dem kleinen Zimmer mit dem Betonfußboden stöbert Rafa meine Vinylsammlung durch, den Aschenbecher neben sich.
"Au Mann, da hast du dir was eingebrockt", sagt er. "Wenn du dem Rafa sowas zeigst ..."
Er kramt Platten heraus, die Brinkus vor Jahren bei mir abgestellt hat.
"Hinter meinen Sammeltassen stehen auch noch rare Singles", erzähle ich. "Ich habe leider keine Vitrine für die Sammeltassen."
"Was ist eine Sammeltasse?"
"Das ist eine Tasse, da gibt es nur eine von, kein ganzes Service."
"Aber 'Sammeltasse' kann doch nicht heißen, daß das nur eine einzige Tasse ist", regt er sich auf. "Das ist doch Quatsch. Das paßt doch zu dem Begriff 'Sammeltasse' gar nicht."
"So, jetzt hör' mal zu. Jetzt erkläre ich das der Reihe nach. Normalerweise kauft man Tassen immer als Service, sechs auf einmal, zwölf auf einmal oder so. Aber es gibt eben auch besondere Tassen, da sieht keine aus wie die andere. Die kauft man einzeln. Die sammelt man, und das sind Sammeltassen. Die sind manchmal auch etwas teurer als die anderen. Und die sind nicht vor allem zum Benutzen da, sondern zum Betrachten."
Rafa möchte unbedingt die Vinylsingles sehen.
"Siehst du, vor mir ist eben nichts sicher", meint er, als ich das Porzellan beiseite räume.
Wenn ich mich über Rafa beuge, kann ich den Geruch seines Körpers wahrnehmen. Ich finde es schade, daß nicht mehr Nähe möglich ist als flüchtige Berührungen. Oft gleiten meine Finger über Rafas Seidenhemd, oder ich zupfe ihn sachte am Ärmel. Ich tue dann so, als würde ich nur den Stoff fühlen wollen.
"Wenn ich 'Para' sehe, denke ich immer an Ivo Fechtner", erzählt Rafa. "'Achterbahn' war sein Lieblingslied."
"Das kann ich mir vorstellen. Der ist ja auch pervers. Ich finde das Gestöhne so widerlich. Der Rhythmus wäre an sich gut, aber dieses Gestöhne macht alles kaputt."
Rafa will Saft; ich habe jedoch nur Brausetabletten. Ich zeige sie ihm mit den Worten:
"Hier, du möchtest doch immer gucken, was drin ist."
"Woher weißt'n das?"
"Das weiß ich; ich habe dir doch schon mal eine gegeben."
Die Tabletten sind ihm recht. Immer wieder hat er Fragen, und er redet auch mit mir, wenn ich nicht in der Nähe bin. Ich setze ihm Schranken:
"Du, Rafa - ich kann nicht alles auf einmal, dir zuhören und in die Küche gehen."
"Ach, ich dachte, du läufst schon wieder hier 'rum."
Etwas später kommt Rafa zu mir in die Küche und will Händel machen:
"Du verkaufst aber auch Platten."
Er hält die Maxisingle "Automatic Lover" von Dee D. Jackson in der Hand. Ich muß bedauern; diese alte Lieblingsplatte von mir werde ich nicht verkaufen.
In meinem Bücherregal findet Rafa auch etwas, das ihn interessiert.
"Ich muß mir noch die Pixie-Bücher angucken", sagt er, als ich mich wundere, wo er hängengeblieben ist.
Ganze Stöße von Vinylplatten trägt Rafa in mein Zimmer. Dann setzt er sich, und ich spiele die Stücke an. Wenn ich den Schalter fürs Pitchen erreichen will, muß ich mich an ihm vorbeizwängen. Rafa nimmt seinen Fuß weg, damit ich durchkomme.
"Airport" von den Motors will Rafa auch aufgenommen haben. Als das Stück herauskam, war Rafa sieben Jahre alt. Er kann den Stil dieser Musik nicht einordnen.
"Siebziger", beschreibe ich verallgemeinernd.
Rafa überschlägt sich bei seinen Wünschen; er will oft, daß ich mehrere Dinge gleichzeitig mache.
"Eins nach dem anderen", bremse ich ihn. "Alles auf einmal geht nicht."
Etwas später hat Rafa diesen Spruch schon übernommen. Er bremst selber seine Hektik, indem er sagt:
"Eins nach dem anderen."
Als es auf den Mittag zugeht, fragt er:
"Sag' mal, wolltest du dich nicht hinlegen?"
"Ach, das geht doch nicht, wenn du hier 'rumläufst und Platten aufnimmst."
"Bist du denn gar nicht müde?"
"Ich war müde. Vorhin war ich müde."
Rafa greift nach der Kamera und stellt auf mich scharf.
"Oh, jetzt darf ich mich wieder nicht nachschminken", seufze ich.
"Nein."
"Der Rafa will mich immer fotografieren, wenn ich nicht nachgeschminkt bin. Wenn ich mich nicht nachschminke, wird das Bild nichts. Das sieht nachher furchtbar aus."
"Meine Fotos werden immer was."
"Kannst du auch scharfstellen?"
"Ja, ich kann das."
Er drückt ab, und ich rate ihm:
"Mach' lieber noch eins."
"Nein, nein, eins reicht."
Rafa nimmt das Kartenspiel von meinem Schreibtisch und fragt mit Argwohn in der Stimme:
"Was ist denn das schon wieder? 'Schwarzer Peter'?"
"Das kennst du doch schon. Das ist das Kartenspiel, das meine Schwester mir gemacht hat."
"Ach!"
"Das habe ich dir schon mal gezeigt. Guck', das hier ist die Hauptfigur, der Schwarze Peter."
"Ah, ja, ja, das kenn' ich schon."
Rafa fällt die Beschriftung einer Kassette ins Auge.
"Was heißt 'Rafa und andere'?" fragt er.
"Das heißt, daß da ein Stück von dir drauf ist."
"Ach, das ist die Sendung von Ace."
"Ja."
Als Rafa die CD's im Kleiderschrank betrachtet, glimmt in seiner Hand eine Zigarette. Ohne Zigarette kann er nicht auskommen.
"Paß' bitte auf, daß du nicht auf die Kleider aschst", ermahne ich ihn. "Die waren nämlich sehr teuer."
"Nein, nein, da paß' ich schon auf."
Er paßt wirklich auf.
Rafa möchte alle CD's in seinem Kopf einprogrammieren, die er sieht. Er meint, er könne sich später daran erinnern, wenn ich etwas hätte, das ihm noch fehlt.
Im Kleiderschrank wird Rafa durchaus fündig, doch es reicht ihm nicht:
"Hast du nicht noch was Deutsches, sowas wie den Liederkranz?"
"Deutsch ist bei mir immer ziemlich schlecht. Es gibt ja viele deutsche Gruppen, die englisch singen."
Ich wundere mich darüber, daß Rafa die von ihm so verehrten Kraftwerk noch nie live gesehen hat:
"Das Konzert in OS. hättest du echt sehen müssen."
Daß Rafa dort nicht war, rechtfertigt er mit der Behauptung, seit die Band so berühmt sei, sei sie für ihn nicht mehr interessant. Ich glaube eher, es liegt daran, daß Rafa mit der Rolle des Zuschauers nicht mehr zurechtkommt, seit er selbst auf der Bühne steht.
Rafa fragt mich, ob ich Musik wie die von Tangerine Dream habe. Ich muß bedauern:
"Sowas habe ich bestimmt nicht. Mir ist diese Musik nämlich viel zu fad."
Rafa betont, wie wichtig für ihn die "minimale elektronische Musik" ist.
"Reduziert auf das Allereinfachste", beschreibt er.
"Das ist aber nicht mein Stil", entgegne ich. "Ich mag lieber das Komplexe, Vielschichtige - an sich schon monoton, aber in sich komplex."
"Das ist echt das Beste, alles auf das Wesentliche zu reduzieren. Dieses ganze Drumherum ist überflüssig."
"Für mich ist das kein überflüssiges Drumherum. Für mich ist das sehr schön, wenn Lieder komplex und vielschichtig sind."
"Nein, ach, Quatsch, das Minimale ist das Absolute, das ist die höchste Stufe."
"Für mich ist es gerade mal der Anfang. Die höchste Stufe kommt erst viel später."
Als ich ihm mein Lieblingsstück "Spurned" von den Severed Heads vorspiele, meint er, das höre sich an wie eine schlechte Aufnahme von Dead can dance.
"Das ist doch etwas ganz anderes", widerspreche ich. "Das ist doch ein ganz anderer Stil. Da mußt du erst hinkommen."
Entweder, so denke ich, versteht Rafa die ruhige, subtile, von Samples durchsetzte Musik der frühen Severed Heads nicht, oder er will sich nicht darauf einlassen.
Die Alt-Industrial-Band Throbbing Gristle wird von Rafa sehr gelobt.
"Die Tessa, die ist ja auch ein rasender Fan davon gewesen", erzählt er.
"Willst du, daß ich mich wieder aufrege?" frage ich müde. "Ich möchte mich nicht aufregen. Es wäre besser, wenn du den Namen dieser Person nicht erwähnen würdest."
"Ach, ich soll von der nicht reden?"
"Nein, bitte nicht."
Rafa tut mir den Gefallen.
Gegen halb zwölf wachen Benedict und Anwar auf. Es scheint Rafa zu erleichtern, daß er wieder "Verstärkung" bekommt. Ich habe in der Küche und in der Eßecke zu tun, weil die Jungen noch Kaffee haben wollen. Rafa will mich entlasten und nimmt mir das Überspielen der restlichen CD's ab:
"Ich mach' das da weiter."
Als wir uns am Frühstückstisch versammeln, betrachtet Rafa seinen Eßplatz und meint selbstkritisch:
"Oh, jetzt habe ich aber wieder ganz schön 'rumgesaut. Das ist ja eine ziemliche Unordnung da auf dem Tisch. Das ist ja ein richtiger Müllhaufen."
Er räumt den Unrat zusammen und reicht mir das Ganze so ordentlich, daß ich es bequem in den Papierkorb werfen kann. Die Jungen spielen fröhlich mit der Plastikhand herum, die meine Cousine Lisa mir geschenkt hat. Rafa steckt sie sich in den Ärmel und tut so, als sei das seine eigene Hand. Ich finde es herrlich, wie sich der kräftige Rafa mit der dürren Plastikhand an die Stirn schlägt oder sich kokett das Haar aus dem Gesicht streicht. Er stützt seinen Kopf in die Kunsthand und legt die Plastikfinger mit einer Geste der Scheu an seine Wange. Einmal hält er sich die Hand auch vor den Mund, als würde er furchtbar staunen. Ich möchte Rafa unbedingt in einer solchen Pose fotografieren, aber er versteckt sich jedesmal hinter seinem Brotbrett. Schließlich versucht Rafa, Anwar und Benedict mit der Plastikhand zu kitzeln und zu hauen. In dem Wirbel gelingt es mir, einige Fotos zu machen.
"Das war absolut spitze!" freue ich mich.
Rafas Glas fällt vom Tisch.
"Ja, das war spitze", lästert Anwar.
Rafa bittet um ein Handtuch. Ich gebe ihm einen Waschlappen, der mir gerade unterkommt. Rafa wischt den Saft auf. Dann hält er den Lappen in die Höhe und kichert:
"Handtuch? Haha ... was ist denn das für ein Handtuch? Ist wohl ein bißchen eingelaufen."
Als Rafa die Kunsthand aus dem Ärmel gezogen hat, ist der Stoff eingerissen.
"Das Hemd ist schon uralt; das fällt fast auseinander", erzählt Rafa. "Das habe ich mal 1980 zum Geburtstag oder so gekriegt. Das ist echte Fallschirmspringerseide."
Als ich mich wieder an den Tisch setze, meint Rafa:
"Es ist nicht gut, wenn du zu viele Fotos von mir hast."
"Je mehr Fotos ich von dir habe, desto besser."
"Nee - wenn du zu viele Fotos von mir hast, geht irgendwann die Tapetenindustrie pleite."
"Na, ja ..."
"Ja, ja!"
Rafa zeigt auf Constris schönes Portrait, das in der Eßecke hängt, und sagt zu den Jungen:
"Das ist Hettys Schwester. Sieht gut aus, nicht?"
Rafa kann mich auf diese Art nicht eifersüchtig machen.
Als Nächstes überlegen die Jungen, was an der vergangenen Nacht besonders lustig gewesen ist.
"Der Salat", findet Rafa. "Der Salat - und überhaupt das ganze 'Nachtbarhaus'."
Ausgerechnet im "Nachtbarhaus" hat er von mir die heftigste Schimpfe einstecken müssen ...
Lustig fand Rafa auch, wie er meine Plattensammlung durchforstet hat.
"Das Geilste war ja in S.", erzählt er voller Stolz. "Da habe ich mit Dolf so einen alten Waver besucht. Einer von uns ist sofort ans Videoregal gegangen, der andere an die Schallplatten, und dann haben wir zusammen den Kleiderschrank durchwühlt. So:
'Das kann ich brauchen und das und das ... da ist noch eine Hose für mich, und das Paar Schuhe nehme ich auch noch ...'
Wir haben den total leergekauft. Der hat nachher fast nur noch sein Unterhemd angehabt. Der stand ganz verdattert in der Tür, als wir mit dem riesigen Haufen abzogen. Das konnte der voll nicht wechseln. Und wir nur so:
'Mach's gut, vielleicht kommen wir mal wieder ...'"
Rafa lacht. Mir gefällt es nicht, daß er Spaß daran hat, Leute zu überrumpeln und auszunehmen. Solche Streiche lehne ich ab. Ich lache nicht mit.
Die Jungen reden darüber, daß man nicht jedem trauen kann und daß so manch einer seine Mitmenschen über den Tisch zieht.
"Mißtrauen ist alles!" predigt Rafa. "Mißtrauen ist wichtig!"
"Deswegen nimmt man ja auch Kondome, ne?" spiele ich auf unser Streitthema an. "Mißtrauen ist wichtig!"
"Meistens nehme ich ja auch Kondome."
"Du mußt immer Kondome nehmen!" warne ich. "Du willst doch keine Kinder haben, die alle AIDS haben und nach einem Jahr wegsterben?"
"Wieso? Sagt Muttchen immer - alles hat seine Zeit!"
"Ja, aber das muß doch nicht sein, daß jeder AIDS kriegt?"
"Ja, hat doch nicht jeder AIDS."
"Ja, aber man kann das doch verhindern, daß man AIDS kriegt. Du mußt dich davor schützen. Du mußt dich immer vor AIDS schützen."
"Du dich auch!" bringt Rafa mich in Verlegenheit.
Ich haue ihm aufs Bein und erwidere:
"Darüber haben wir uns auch schon unterhalten."
"Was heißt denn das jetzt, wenn du da so draufhaust?"
"Na ... na, ja. Du weißt bescheid."
"No sex until marriage", zitiert Anwar ein Sample von Front 242.
"Na, ich lebe bestimmt nicht so, wie du lebst", sage ich zu Rafa. "Du gehst mit den letzten Schlampen ins Bett und denkst dabei nicht an AIDS."
"Ja, wieso?" fragt er zickig. "Das kann ich doch machen, wie ich will."
"Rafa, es geht um deine Gesundheit."
"Wie du schon sagtest - um meine Gesundheit. Es geht hier nicht um dich. Es geht um mich."
"Aber gerade, weil es um deine Gesundheit geht, betrifft es ja auch mich."
"Ha - wie soll das denn gehen? Das, was meine Gesundheit betrifft, betrifft doch nicht dich."
"Natürlich. Wenn du nicht mehr bist, dann kann ich ja auch -", sage ich und fahre mit der Handkante über mein Genick. "Wozu lebe ich dann hier noch? Ich meine, ich werde hier schon weiterleben, aber ich werde bestimmt nicht mehr gerne hier leben."
"O.k. - Themenwechsel", bittet Rafa.
"O.k., beim nächsten Mal geht's weiter. Man muß eben dieselbe Seite von dem Buch immer wieder aufschlagen. Man muß immer wieder dieselbe Platte auflegen. Dann sitzt es irgendwann."
Rafa nimmt ein lila Milka-Ei aus einem Osterkörbchen. Er betrachtet das Ei prüfend. Es ist weich geworden von der Heizungswärme.
"Ja, das stimmt", fällt mir auf, "diese Betonplatte hat sich so erwärmt, wo das Körbchen steht, da sind die Dinger weich geworden. Dann darf ich sie da halt nicht mehr hinstellen."
Rafa nimmt die Milka-Kuh in die Hand und meint:
"Die ist noch einigermaßen."
Ich stelle das Körbchen woanders hin. Rafa nimmt ein Holzei von der Fensterbank und bemerkt:
"Die sind aber auch ganz schön weich."
"Das ist doch Quatsch; das sind doch Holzeier. Hier gehören eigentlich Zweige hin, und die gehören da dran, aber ich habe das nicht mehr geschafft, Zweige zu kaufen."
Rafa klagt nun doch sehr über Müdigkeit.
"Dann würde ich dir doch vorschlagen, leg' dich hin", empfehle ich.
"Nein, ich muß nach SHG.", erwidert Rafa und schaut auf seine Uhr.
"Du kannst auch bei mir übernachten."
"Ja, aber denk' an die Kondome", schaltet Anwar sich dazwischen.
Ich lache.
"Den zweiten Teil der Lache nochmal, bitte", sagt Rafa, dem das Lachen wohl etwas zu zynisch wird.
Ich winke ab und suche für die Jungen eine Zugverbindung heraus. Rafa erzählt, daß er sich seit etwa zwölf Jahren fast jeden Montag mit Anwar trifft. Er fügt hinzu, daß er seinen Bruder seit fünfundzwanzig Jahren fast jeden Tag sieht.
Ich erzähle von Carls freitäglichen Besuchen bei mir und komme darauf zu sprechen, wie Carl und ich früher die Hausarbeit aufgeteilt haben:
"Als Carl hier gewohnt hat, ist das alles perfekt verteilt gewesen im Haushalt. Ich habe den Abwasch gemacht und Waschbecken und Badewanne, und er hat die Böden gemacht, Fenster geputzt und so weiter ..."
"Unheimlich spontan", lästert Anwar. "Voll durchgeplant."
"Na ja, es hat reibungslos funktioniert. Es gab nie Diskussionen. Wir mußten da nie irgendwie nachdenken und so. Carl und ich haben die Hausarbeit genau verteilt. Ich meine, erst hat er sich auch gesträubt dagegen, als ich zu ihm gesagt habe, daß wir uns die Hausarbeit einteilen müßten. Da hat er gesagt: 'Wiesoo?' Und da habe ich gemeint, er müßte halt auch Verantwortung übernehmen - 'Ja, Quatsch, wieso Verantwortung?' und so ... Und da habe ich gesagt:
'Wenn man mit jemandem zusammenlebt, hat man immer auch Verantwortung.'
Und das hat er dann irgendwann eingesehen, und dann hat das prima geklappt. - Ihr macht das doch zu Hause auch, du und deine Mutter", wende ich mich an Rafa. "Ihr teilt doch auch die Hausarbeit auf."
"Nein."
"Ach, und deine Mutter muß dir alles nachräumen?"
"Die hat überhaupt keine Zeit zum Aufräumen."
"Welche Hausarbeiten machst du denn zu Hause?"
"Gar keine."
"Ach, was!" rufe ich mit pädagogischem Staunen. "Du machst überhaupt nichts, du als erwachsener Mensch?"
"Na ja, ich wasch' schon mal ab, und ich kümmere mich auch um meine eigenen Zimmer", druckst Rafa. "Mit den anderen Räumen habe ich ja weiter nichts zu tun."
"Aber das Bad benutzt du doch auch."
"Das macht Muttchen immer sauber."
"Ach, du machst das nie sauber?"
"Na ja, so alle ein bis zwei Monate mach' ich das mal sauber."
"Sag' mal, du läßt das sie alles machen und machst selber nichts? Was ist denn das für eine Aufteilung? Deine Mutter hat bestimmt weniger Zeit als du."
"Nö. Sie hat keine Zeit, ich hab' auch keine Zeit. Ich hab' keine Zeit."
"Na, das glaube ich aber nicht."
"Ah, woher willst'n das wissen?"
"Also, du hast bestimmt mehr Zeit als die."
"Nee. Ich muß schlafen ... ich muß saufen ..."
"Und da hast du keine Zeit zum Aufräumen."
"Nein, ich hab' keine Zeit zum Aufräumen. Jetzt ist alles drunter und drüber, weil, Muttchen ist im Urlaub. Ja, zu Hause werde ich erst nochmal ordentlich trinken ..."
"Du sollst nicht so viel trinken."
"Das mache ich auch nicht mehr. Gestern abend habe ich ja schon genug gehabt."
"Jaa, jaa ... du machst doch noch dein Lied gegen Alkohol, he?"
Rafa wird nachdenklich.
"Gemütlich hast du es bei dir", meint er. "Klo ist gleich da ... neben dem Zimmer ..."
"Bei dir muß man ja immer noch durch die Küche gehen. Und selbst das darf man nicht immer."
"Man kann ja auch noch unten gehen."
"Ich meine, du kannst auch bei mir schlafen, wenn du willst. Aber du willst ja nach SHG. zurück."
Rafa schaut meine Betonsteine an und fragt:
"Was hast du da eigentlich überall für Dinger? Dinger hier und Dinger da ..."
"Das sind Steine. Die sind sehr praktisch."
"Hast du eine Tüte?" fragt mich Rafa, als alle vom Kaffeetisch aufstehen.
Ich bringe ihm eine, befürchte aber, daß sie das Gewicht von fünfzehn Videokassetten nicht hält. Rafa ist sicher, daß die Tüte halten wird. Er sucht nach einer Aufschrift, die das Höchstgewicht angibt, mit der die Tüte belastet werden kann.
"Nein, da steht es nicht drauf", sagt er schließlich. "Früher stand das immer drauf."
Er packt alle Videokassetten in die Tüte. Danach fällt ihm ein:
"So - dann muß ich ja noch sagen, schönen Dank für Speis und Trank."
"Bitte sehr."
Rafa bezahlt mir die Kassette, die ich für ihn bespielt habe. Weil ich nicht genügend Wechselgeld habe, gibt er mir deutlich mehr, als sie gekostet hat.
"Hast du eine 3,5 Zoll-Diskette?" fragt er alsdann.
Ich schaue ein wenig verständnislos, und er meint:
"Ich hab' Wünsche, was?"
"Na, ja ... ich muß mal überlegen, ob ich noch sowas habe."
"Ja, dann muß ich nämlich nicht mehr in die Stadt fahren. Das ist besser. Hast du nicht noch eine Diskette für mich? Du hast doch immer sowas, und du kommst eher in die Stadt."
"Ich hole die normalerweise vom Institut."
Es steckt noch eine unbeschriftete Diskette in meinem Kästchen.
"Die müßte eigentlich leer sein", vermute ich, "weil da kein Klebchen drauf ist; da könnte eigentlich nichts drauf sein."
Anwar fragt mich, ob er meinen Rechner anschalten darf.
"Das möchte ich nicht", erwidere ich. "Das ist, wie wenn du mein persönliches Notizbuch aufmachst oder mein Tagebuch. Außerdem sind da sowieso keine Spiele drauf."
"Ich muß noch in der Wohnung 'rumlaufen und ein bißchen gucken", sagt Rafa und geht in mein Zimmer.
"Da hast du aber 'ne Menge zu gucken, was?" vermute ich.
"Nee, hab' ich gar nicht", erwidert er trotzig. "Hier ist ja immer alles so ordentlich."
Das Barbiegrab nimmt seine Aufmerksamkeit in Anspruch.
"Hier ruht Barbie", liest Rafa die Inschrift auf der Grabplatte vor.
"Ja, das kennst du doch schon", erinnere ich ihn.
"Ist da wirklich eine Barbie drin?" fragt er.
"Ach, nein. Das weißt du doch auch schon."
"Da liegt ja auch noch eine Barbie drunter!" staunt Rafa, als er den Gully betrachtet, den Steini mir geschenkt hat.
Er findet die Kerze toll, die aussieht wie ein Pflasterstein. Er zeigt sie Anwar, zusammen mit einem echten Pflasterstein. Anwar erkennt zuerst nicht, daß einer der Steine gar keiner ist.
Die Tür zum Balkonzimmer steht halb offen.
"Halt - das Zimmer, das muß ich mir unbedingt nochmal angucken", sagt Rafa. "Was hast du da?"
Er sieht die Wanddekoration aus schwarzem und weißem Kreppapier und die angehefteten Karten mit Industriemotiven.
"Wann - wann hast'n das gemacht?" fragt er mich.
"Das hatte ich schon die ganze Zeit. Das war die Deko für die Party."
"Was - wann war das?"
"Das hast du doch schon gesehen."
"Nö, das habe ich nie gesehen."
"Es kann sein, daß dir das nicht aufgefallen ist. Das habe ich aber schon seit Anfang des Jahres."
"Und warum ist das Fenster da so zugehängt?"
"Das war auch für die Party. Ich habe ja keine Vorhänge für das Zimmer, und da habe ich einfach die schwarzen Müllsäcke genommen und aneinandergesteckt und daraus eine Gardine gemacht. Und die Jungen haben sich das nochmal hochgehängt."
"Die Jungen?" fragt Rafa und zeigt auf Benedict und Anwar.
"Ja, Benedict und Anwar."
"Anwar und Benedict oder Benedict und Anwar?"
Ich sage dazu nichts.
In der Nähe der Wohnungstür hängt eine Barbie an der Wand, die auf anzügliche Art in dem Deckel eines Schuhkartons klemmt.
"Was ist das denn jetzt?" fragt Rafa, als ihm dieses Ding ins Auge fällt.
"Ach, das ist schon so alt. Da hat meine Schwester mal eine Barbie in den Deckel von einem Schuhkarton stecken wollen. Die paßte aber nur 'rein, wenn sie die so verbogen hat. Und das habe ich dann irgendwann mal wiedergefunden und fand das so geil, daß ich das erstmal gleich an die Wand gehängt habe. Das ist aber auch schon über zehn Jahre her."
"Und das da - was ist das da?"
Rafa findet die Barbiepuppe neben dem Stromzähler und nimmt das Gebilde in die Hand.
"Was soll das denn ...", staunt er.
"Das habe ich einer Barbiepuppe ein Skelett angezogen", erkläre ich. "Das eine Bein ist dann eben auch noch ab."
"Ha - und du beschwerst dich über ein Videospiel wie 'Doom' - und mit den Barbies machst du es viel schlimmer!"
"Aber das ist doch bloß Plastik. Das ist doch nicht schlimm."
"Ja, aber die Barbiepuppen sind dem menschlichen Körper doch viel näher als solche Videobilder", belehrt mich Rafa.
Auf dem Regal im Flur findet er noch etwas:
"Was ist das denn für ein komischer lila Vogel?"
"Das ist ein Gargoyle."
Es handelt sich um die Trickfilm-Figur Goliath, ein Gargoyle, der nachts lebendig wird und herumflattert.
Anwar und Benedict haben sich auf mein Sofa gesetzt. Rafa fotografiert die beiden auch noch. Anwar und Benedict spielen mit den Zoids. Rafa versucht, die Jungen mit einem Plastikskorpion zu erschrecken. Dann legt er sich quer auf mein Bett. Das Industrial-Stück "Brought before you" von Crawl / Child ist zu hören.
"Das Lied ist gar nicht so schlecht", meint Rafa, und das, obwohl es sich um ein sehr industrielles Stück mit Noise-Sounds handelt.
Benedict steht auf. Rafa befürchtet, vom Liegen richtig schläfrig zu werden. Er setzt sich zu Anwar. Nach einer Weile schaut Rafa auf die Uhr; es ist halb eins.
"So - dann, würd' ich sagen, müssen wir mal ..."
"Ja - dann steh' mal auf", sagt Anwar.
Rafa scheint das schwerzufallen. Er will Anwar vorschicken:
"Ach, nee, du kannst ja auch zuerst aufstehen."
"Ach, und dann soll ich über dich 'rüberkraxeln, hm?"
"Ja! ... O.k. ..."
Mit einem tiefen Seufzer steht Rafa auf, und Anwar erhebt sich ebenfalls.
"Man sieht sich", verabschieden wir uns an der Wohnungstür.
"Hier - schmeiß' das Zaziki bloß weg", rät Rafa und zeigt auf die leere Schachtel im Mülleimer. "Sonst stinkt dir das noch die Bude voll."
Rafa geht mit seinen Begleitern weg; er läßt sich von ihnen abschirmen. Er vermeidet sorgsam jede körperliche Nähe zwischen mir und ihm. Mit anderen Frauen ist das ganz, ganz anders ...
Saara hat mir erzählt, daß Rafa im "RAPsody" an ihrer Weste gefummelt hat, weil er ihre Oberweite betrachten wollte. Saara war nahe daran, ihm eine zu scheuern.
Als Saara im "Nachtbarhaus" über Rafa und mich sagte:
"Was sich neckt, das liebt sich."
- da soll er sie ganz seltsam von unten nach oben angeguckt haben.
Saara hat erfahren, daß Velvet bei Rafa anrief, gleich nachdem er von mir zurückkam. Velvet wußte nicht, wo er gewesen war. Sie wollte sich mit ihm treffen. Rafa wimmelte sie ab mit der Begründung, er habe in dieser Woche 'überhaupt keine Zeit'.
Saara hat von Lisette gehört, daß Rafa zur Eröffnung des neu erworbenen Bistros von Blanda und Said - das "Hunger & Durst" - in Begleitung eines dunkelhaarigen Mädchens kam, das keiner kannte. Es soll Aphrodita heißen. An dem Tag, nachdem er bei mir war - einem Mittwoch - soll Rafa mit Aphrodita ins "Zone" gegangen sein. Hat Rafa mit ihr auch etwas angefangen?
Velvet wollte an jenem Mittwoch ebenfalls ins "Zone", mit Greta und deren Mitbewohner. Als Velvet bei den beiden anrief, wurde sie von Greta vertröstet, sie solle doch in zehn Minuten noch einmal anrufen. Velvet wartete zehn Minuten und versuchte, Greta wieder anzurufen; es war aber dauernd besetzt. Also konnte Velvet nicht ins "Zone" fahren.
Lana hat einen Tequila-Lolli mit Wurm. Wir können uns nicht vorstellen, wie man sich überwinden kann, so etwas zu essen. Ich betrachte das Ding als Gag, nicht als Süßigkeit. Allerdings - wer weiß, vielleicht ißt die Sängerin solche Lollis wirklich?
Mir ist noch ein Gedanke gekommen zu der Bibel, in der Rafa das Zitat für meine Geburtstagskarte gefunden hat.
Rafa hat gesagt, der Spruch sei ihm gleich als Erstes ins Auge gefallen. Bücher schlagen sich gewöhnlich an der Stelle wie von selbst auf, an der sie besonders häufig geöffnet werden. Für Rafas Mutter scheint die Bibel besonders wichtig zu sein; sie betrachtet sie als Buch, in dem auf allerlei Fragen des Lebens eine Antwort zu finden ist. Ich kann mir vorstellen, daß sie den Spruch vom Prediger Salomo immer wieder gelesen hat, um den Tod ihres Mannes zu verarbeiten.

In einem Traum war Rafa in meinem Badezimmer. Die Tür stand offen. Ohne durch die Türöffnung zu schauen, fragte ich:
"Rafa, brauchst du noch ein Handtuch?"
"Echt, wir sind so kaputt", meinte er, "das ist echt was Besonderes, wenn noch was heile ist."
"Brauchst du denn noch ein Handtuch?"
"Ja, kannst mir eins geben."
Als ich ihm das Handtuch reichte, kam er aus dem Bad; er trug Sakko und Fliege. Am Türrahmen wollte er mit dem Handtuch ein seltsames Muster abwischen, etwas wie ein Mosaik, ein Symbol.

In einem anderen Traum waren Malda, Cassandra und ich in einem Zimmer und warfen uns reihum einen Ball zu. Wir waren alle dunkelrot gekleidet.

Mit Malda will ich mich nach wie vor treffen, doch muß ich damit rechnen, daß sie alles, was wir uns erzählen, an Ivo Fechtner weiterträgt.

In einem Traum äußerte ich gegenüber dem Professor die Vermutung, daß er sich im letzten Winter übernommen hat und deshalb die Pneumonie bekam. Außerdem erzählte ich, daß diese Art der Pneumonie eine hohe Todesrate hat.
"Wer an der Grippe stirbt, stirbt an dieser Pneumonie", warnte ich. "Sie sollten sich nicht mehr so übernehmen. Eine Grippeschutzimpfung ist auch ratsam."
Er wirkte gerührt und goß uns Marillenlikör in zwei Kristallgläschen. Während wir ihn tranken, fragte er mich, ob ich wisse, was Marillenlikör sei. Ich bejahte und lobte das Getränk.

Daß Marillenlikör schmeckt, habe ich schon mit elf Jahren auf einer Party ausprobiert. Constri und ich hielten ihn zuerst für Saft und staunten, als wir davon einigermaßen benebelt wurden. Die Erwachsenen bekamen freilich nichts mit von unserer angeheiterten Verfassung; wir konnten es geschickt verbergen.



Mitte April machte Sazar im "Elizium" Werbung für die "Katakomben". Versicherungs-Rono hielt mir eine Rede, bestehend aus Komplimenten:
"Du bist schon vom Aussehen her unverwechselbar. Du bist, wie du bist; man kann dich lieben oder hassen, aber man kann dich nicht verändern. Und bei dir kann man hundertprozentig sicher sein, daß du wirklich so bist, wie du dich gibst. Die anderen machen oft nur eine Show um sich herum."
Er sei so begeistert von mir, daß ihm die Worte fehlten. Ich nickte und dankte; dann erzählte ich ihm von einer im "Elizium" schon bekannten "Rempeltante", deren hauptsächliches Vergnügen es ist, die Tanzenden durch Rempeleien zu stören. Rono wollte mich vor der "Rempeltante" beschützen. Er setzte sich neben sie. In der Folge hielt sie sich im Hintergrund. Ich weiß aber nicht, woran das lag.
Je später es wurde, desto mehr von Rafas Verehrerinnen tauchten im "Elizium" auf. Ich sah Velvet, Lisette, Lara und Greta.
Gegen halb vier ging ich an der Bar vorbei, und da stand Rafa in einer Ecke, mir abgewandt. Ich kraulte ihn am Hals und zog ihn am Kragen, ohne im Gehen innezuhalten. Ich sah mich danach auch nicht mehr um; ich lief zur Tanzfläche.
Rafa trug seine Haare wieder offen. Er hatte ein Hemd mit Fliege an, die Schnallenjacke und die Kuhhose. Er blieb in der Nähe der Bar und war eingekeilt von Verehrerinnen. Nur zweimal lief er kurz zur Galerie hinauf.
Ich hatte das Kleid mit dem roten Samtrock an und dieses Mal auch eine rote Strumpfhose. Ich ließ Luie zwei Wünsche von mir spielen, die besonders wilde Rhythmen haben; es ist eine Freude, danach zu tanzen. Das eine Stück war "Feel it in the flesh II" von Call, das andere war "Atmosphere vs. CH4" von Winterkälte. Die Stücke haben im "Elizium" schnell Anklang gefunden. Der Rhythmus von "Atmosphere vs. CH4" vereinnahmt mich; wenn ich darin untergegangen bin, komme ich nicht mehr heraus.
Allein war ich im "Elizium" auch zu dieser späten Stunde nicht; ich saß bei Lessa und Simon auf dem Podest. Ich konnte von meinem Platz aus nicht beobachten, was Rafa mit den Mädchen anstellte, die sich um ihn scharten. Ich wollte das auch nicht, weil mir so etwas ohnehin noch rechtzeitig von anderen Leuten zugetragen wird. Außerdem soll Rafa erfahren, daß ich mich von seinen Provokationen nicht beeindrucken lasse, sondern mich von ihm abwende, wenn er provoziert. Er soll sich mit seinen Spielsachen allein fühlen. Dann verliert er vielleicht am ehesten die Lust daran.
Rafa war insgesamt für etwa eineinhalb Stunden im "Elizium". Als er ging, tanzte ich gerade und konnte nicht sehen, mit wem er das "Elizium" verließ. Velvet war noch da; also war Rafa nicht mit ihr weggegangen. Mit Lara ist er auch nicht weggegangen, denn die war eher fort als er. Wahrscheinlich ist er mit Greta weggegangen. Nora hat nämlich gesehen, wie Rafa im "Elizium" mit Greta herumgeknutscht hat. Das widerte mich an, und ich fragte mich, wie ich mit diesem Gefühl des Abscheus umgehen sollte.
"Rafa will wahrscheinlich sterben, weil er dauernd mit seinem Leben spielt", überlegte ich. "Vielleicht kann ich mich an ihm rächen, indem ich ihn am Sterben hindere. Vielleicht schaffe ich es, ihn dazu zu zwingen, sein verhaßtes Leben anzunehmen und sich seinem verhaßten Selbst zuzuwenden. So kann ich ihn strafen, ohne ihm zu schaden. Ich will Rafa den Boden unter den Füßen wegziehen. Rafa steht auf einem Boden aus Lügen und Selbstbetrug, einem Boden, der ihm eine scheinbare Sicherheit verschafft. Er tut alles, um diese Sicherheit zu erhalten. Wenn er ins Schwanken gerät, weil er sich mir zuwendet, muß er anschließend dafür sorgen, daß das Lügenfundament wieder instandgesetzt wird. Das tut er in der Regel, indem er sich eins der Mädchen greift, die er sich verfügbar hält. Nach außen ist er also immer noch der Schürzenjäger, der sich nie bindet und nur mit den Menschen spielt. Anwar unterstützt Rafas Selbstbild, indem er ihn davor warnt, sich von einer Frau 'versklaven' zu lassen. Wenn es nach Anwar geht, darf Rafa nicht mit einer Frau glücklich werden, weil Anwar selbst nicht glücklich ist. Er muß miterleben, wie die Frauen Rafa nachlaufen und nicht ihm."
Saara glaubt, daß Anwar ebenso hinterhältig und verlogen ist wie Rafa. Er soll immer Wege suchen, seine Mitmenschen zu übervorteilen. Diese Niedertracht soll dadurch gefördert werden, daß Anwar nach Anerkennung in der Damenwelt sucht und sich diesbezüglich Rafa unterlegen fühlt.
Carl hat das "Elizium" verlassen, kurz nachdem Rafa gekommen war. Rafa hat aber noch mit ihm geredet; das hat Carl mir erzählt. Rafa kam zu Carl, der im Seitengang auf einem Hocker saß. Er gab ihm die Hand und fragte ihn:
"Wie geht's?"
"Ach, es geht so", antwortete Carl.
"Das hört sich aber nicht gut an", meinte Rafa und wirkte besorgt. "Wo ist Hetty?"
"Die hat eben noch getanzt", gab Carl Auskunft. "Die muß hier irgendwo 'rumhüpfen."
Rafa ging weiter, wie um mich zu suchen. Er wußte, daß er mich nicht ansprechen durfte, weil er sich durch Greta den Weg zu mir verbaut hatte. Da hat er sich wohl stellvertretend an Carl gewandt.
Am Nachmittag erzählte Saara am Telefon, Greta sei als begeisterter Groupie über Ostern bei Rafas Tour mitgefahren. Greta durfte daraufhin an Rafas nächstem Spieleabend teilnehmen. Der wurde auf den Dienstag verlegt, weil Rafa am Ostermontag noch auftreten mußte. Greta fügte sich gut in die Spielgruppe ein; sie machte sich auch bei Anwar beliebt, indem sie ihm die Aufmerksamkeit schenkte, die er in ihren Augen als "bester Freund" von Rafa verdiente. Bei dem Spieleabend konnte Greta das tun, was Velvet eine Woche zuvor vergeblich versucht hatte. Greta konnte sich Rafa "angeln". Als Rafa kurz darauf zu ihrer Einweihungsparty kam, soll sie "mehr oder weniger" mit ihm zusammen gewesen sein.
Greta leugnet, schon im Dezember mit Rafa geschlafen zu haben. Rafa hat aber Lara erzählt, er habe sehr wohl im Dezember mit Greta geschlafen.
Greta soll nach ihren Erlebnissen in Venedig verständlicherweise ausgesprochen wütend auf Rafa gewesen sein.
"Jetzt weiß ich, woran ich bin!" schimpfte sie, als sie aus Venedig zurückkam.
All das hinderte sie aber nicht daran, Rafa von Neuem zu umgarnen. Lara warnte Greta:
"Heul' dich bloß nicht bei mir aus, wenn nach drei Wochen Schluß ist!"
"Das wird nie geschehen, daß Schluß ist", war Greta überzeugt. "Du bist ja bloß eifersüchtig."
Rafa soll lobend über Greta gesagt haben, sie würde "voll hinter ihm stehen". Wahrscheinlich meint er damit, daß sie stets das tut, was er will.
Auf Gretas Party soll Rafa besonders häßlich und biestig zu Lara gewesen sein. Vielleicht hatte er schlechte Laune. Auch Daria weiß, daß Rafa unausstehlich ist, wenn er schlechte Laune hat.
Im "Elizium" soll es Greta gewesen sein, die zu Rafa ging und ihn abknutschte. Rafa war betrunken und nuckelte teilnahmslos an seinem Bier. Er ließ sich Gretas Knutscherei gefallen; ob er es mochte, weiß niemand.
Übrigens war auch Fani auf Gretas Party. Er erzählte Clarice, daß "Rafa mit seiner Freundin" dagewesen sei.
An Rafas nächstem Spieleabend, der nun wieder montags stattfand, nahm Greta nicht mehr teil. Rafa betrank sich mit Benedict und Anwar. Um halb ein Uhr nachts rief Rafa bei Lara an. Laras Vater nahm ab und war über die Störung sehr ungehalten. Rafa bat Lara, zu ihm zu kommen. Sie fuhr hin und fand die drei "Bierleichen".
"Ach, schlaf' bei mir, bitte", sagte Rafa zu Lara, der wohl einen Fahrer für die morgige Reise nach H. brauchte.
Lara lehnte ab mit der Begründung, daß sie am nächsten Tag arbeiten müsse.
"Nimm' dir doch frei!" bettelte Rafa. "Sag', du bist krank!"
Lara wollte aber nicht. Sie fuhr heim.
Am Dienstag, mittags um zwölf Uhr, saß Tonia im Barockgarten. Sie entdeckte drei Gestalten, die langsam näherkamen. Es waren Rafa, Benedict und Anwar. Sie bemerkten Tonia nicht und gingen an ihr vorbei. Rafa trug eine Sonnenbrille. Er schleuderte seine Ponyhaare aus dem Gesicht, indem er seinen Kopf zurückwarf. Das ist eine typische Bewegung von ihm, die ich süß finde. Tonia kann diese Bewegung nicht leiden.

.






.

Als ich am Freitag in die "Halle" kam, stand Rafa bei Kappa am Pult. Rafa trug wieder die Schnallenjacke und die Kuhhose, und er hatte sein schwarzes Seidenhemd mit dem Stehkragen an. Er war frisch rasiert, auch über den Ohren, wie ich das gern habe.
Kappa trug lange Locken und einen Gehrock aus Brokat. Er verzichtete dieses Mal darauf, merkwürdige Reden durchs Mikrophon zu halten. Er legte nur einmal "Mutter, der Mann mit dem Koks ist da" von Falco auf. Das gab Kappas Spottnamen "Koks-König" neue Nahrung.
Rafa tanzte viel. Das ist so ungewöhnlich für ihn, daß etwas dahinterstecken mußte. Ich konnte beobachten, daß Rafa zwischen vielen Leuten hin- und herlief, wenn er nicht tanzte. Ich bekam den Verdacht, daß es Rafa darum ging, möglichst wenig mit Greta zu tun zu haben.
Rafa setzte sich nach einer Weile die Spiegelbrille auf. Lillien neckte ihn:
"Ist nicht so besonders hell hier, ne?"
"Na - ja", sagte Rafa. "Da kann ich dir in den Ausschnitt gucken, ohne daß du es merkst."
Etwas später war Rafa verschwunden.
Ich sah Zinnia in der "Halle". Sie wirkte damenhafter als früher. Sie hat ihre Haare schwarz gefärbt, und sie war geschminkt und trug ein silbernes Oberteil. Sie hatte jemanden dabei, der ihr Freund sein konnte.
Eigentlich sollten in dieser Nacht Placebo Effect auftreten. Da hatte Kappa offenbar zuviel versprochen. Auf der Bühne hing ein Schild mit dem Namen einer unbekannten Band, "The Face of Jesus". Wie Kappa ankündigte, handelte es sich dabei um "zwei entzückende Betties". Eine dieser Damen stellte sich ans Keyboard, mit Sonnenbrille und einer altmodischen Kette, die vom Flohmarkt stammen konnte. Die kleine Gestalt ertrank fast im Nebel. Die andere Dame ging ans Mikrophon. Es war ein dralles Mädel mit langen schwarzen Wuschelhaaren. Es trug große Ohrringe und ein schwarzes Spitzenkleid, dessen Rock so kurz war wie die Röcke von Funkenmariechen. Das Mädel wiegte sich in den Hüften und zwitscherte mit süßer Stimme englische Synthi-Pop-Liedchen. Nach jedem Liedchen bedankte es sich auf englisch, mit ebenso süßer Stimme.
Ich sagte zu Lillien, daß eine Band, die nur aus Mädchen besteht, etwas sehr Seltenes ist. Es mußte Männer im Hintergrund geben.
"Rafa", war Lillien sicher.
Ich ging nach vorn, dicht vor die Bühne, und sah mir die dralle Sängerin genauer an. Ihre Stimme klang wie Zinnias Stimme, doch Zinnia war es nicht. Es war Rafa, der eine Karaoke-Show machte. Er warf die strammen Beine in die Luft, und ich konnte ihm ausgiebig unter den Rock gucken. Rafa trug eine blickdichte Strumpfhose, die es einem schwer machte, das Entsprechende zu erahnen. Rafa warf wieder die Beine in die Höhe und wieder und wieder. Dann sang er mit seiner eigenen Stimme weiter, "Fred vom Jupiter" und "Interaktiv". Währenddessen zogen Rafa und Dolf sich die Perücken vom Kopf.
Ich applaudierte nicht, weil ich das den Groupies überlassen wollte. Ich hoffe, daß mein Vergnügen an der Show für Rafa ausreichend Anerkennung war.
Rafa hat über ein Jahr lang in H. kein Konzert mehr gegeben. Vielleicht war es ihm ein besonderer Wunsch, das wieder tun zu können. Damit er nicht von Buh-Rufen empfangen wurde, ging er als Transvestit auf die Bühne. Und er erntete viel Hurra und Applaus. In der Damentoilette schwärmte Velvet in höchsten Tönen von dem Auftritt:
"Der Mann ist so wundervoll! Der ist so mutig!"
Schon 1988, als ich Rafa noch gar nicht kannte, wünschte ich mir einen Schatz, der sich gerne merkwürdig verkleidete, auch als Transvestit. Ich sehe das bei Rafa, und außerdem finde ich bei ihm ein besonderes darstellerisches und komisches Talent. Ich hoffe, daß er das weiter ausschöpfen kann und nutzen kann für seine Zukunft.
Nach dem Konzert kamen einige Stücke, zu denen ich tanzen konnte. Rafa stand für eine Weile dicht bei mir, allerdings nicht so dicht, daß ich ihn beim Tanzen berühren konnte. Er hatte sich wieder umgezogen und löste Kappa am DJ-Pult ab. Rafa blieb für den Rest der Nacht am Pult. Um Greta kümmerte er sich nicht. Sie kam auch nicht zu ihm hinauf. Lara kam aber hinters Pult. Rafa sagte durchs Mikrophon:
"So, jetzt will ich mich erstmal bei allen Leuten bedanken, die das hier ermöglicht haben - besonders bei Lara, für die Klamotten. Die Idee ist nämlich erst letzte Nacht entstanden."
Ich spähte zwischen zwei Lautsprechern hindurch und sah, wie Rafa einem Mädchen zweimal ein Küßchen auf den Mund gab. Ich dachte zuerst, das Mädchen sei Greta, aber ich hatte nur Lara zu ihm hinaufklettern sehen, und ich sah auch nur Lara die schmalen Treppenstufen heruntersteigen.
Lara verließ nach Rafas Dankesrede die "Halle". Ich suchte gemeinsam mit Brinkus einen Platz, von dem aus ich Rafa besser beobachten konnte. Rafa spielte "Let your body learn" von Nitzer Ebb, und das heiterte mich etwas auf. Die leichte, laue Synthi-Pop-Musik, die die meiste Zeit lief, trübt mir die Stimmung.
Chantals Freund Seraf erzählte mir, daß draußen vor der Tür auf dem ehemaligen Fabrikgelände jemand niedergestochen worden war. Das könnte einer von den Techno-Parties in der benachbarten Location "Halle 1" gewesen sein, denn dort blüht der Handel mit Drogen, und infolgedessen blüht die Kriminalität. Die Polizei war mit großem Aufgebot angerückt. In der "Halle", wo Kappas Party stattfand, sah und hörte man davon nichts.
Als ich wieder einmal tanzte, ging Rafa an mir vorbei, endlich so dicht, daß ich ihn an der Schulter kraulen konnte. Auf dem Rückweg hielt er mehr Abstand.
Nachher stellte ich mich zu Brinkus und U.W. auf die Seite der Tanzfläche, wo Greta auf einem Hocker saß. Ihre Leute gingen nach und nach, bis sie ganz allein war. Schließlich hatte sie genug und stieg die Treppe hoch bis vors Pult. Sie verhandelte mit Rafa und wies nach unten auf ihren Hocker. Sie schien ihn dazu überreden zu wollen, ihr Gesellschaft zu leisten. Rafa vertröstete sie und schickte sie fort. Nach kurzer Zeit kam er zu Gretas Hocker, drehte aber gleich wieder um und holte zwei Bierflaschen. Er gab Greta eine und setzte sich neben sie. Ich beobachtete die beiden mit Raubtieraugen. Rafa verriet mit keiner Geste, daß er zu Greta eine zärtliche Beziehung unterhält. Greta versuchte auch nicht, Rafa zu umarmen oder zu küssen. Rafa blieb nicht lange bei Greta sitzen; er wechselte die CD und tanzte, gegenüber, auf der anderen Seite der Tanzfläche. Die schrille Depeche Mode-Fanlegende Frank "Hoffi" Hoffmann brachte einen Vinylhandschuh, der von den Rettungssanitätern stammen konnte. Der Handschuh war aufgeblasen und zusammengeknotet, wie ein Luftballon. Hoffi stopfte mir den Handschuh von hinten in den Pullover. Ich zog den Handschuh heraus und wollte ihn damit bewerfen. Hoffi ergriff die Flucht. Ich flitzte hinter ihm her, den Handschuh in der erhobenen Rechten. Wir umrundeten die Tanzfläche. Es kam mir vor, als hätte ich Flügel. Immer fühle ich mich gefährdet und habe Angst vor Verfolgern, wenn ich nachts allein die Straßen entlanggehe ... jetzt konnte ich endlich auch einmal jemanden verfolgen.
Als Rafa zuendegetanzt hatte, verschwand er in Richtung der Toiletten. Er wollte gar nicht wiederkommen. Greta wartete und wartete. Die Musik verstummte. Kappa ging hoch ans Pult. Greta kam zu ihm und redete mit ihm. Schließlich tauchte Rafa wieder auf und begann, seine CD's einzusortieren und die Geräte zusammenzupacken. Mit Greta redete er nicht. Daphne rief ihn herunter und fragte ihn, ob sie nicht mit ihm ins Taxi steigen könnte; er wolle doch zu Greta fahren, und das läge in ihrer Richtung.
"Das besprechen wir gleich, o.k.?" wimmelte Rafa sie ab und lief wieder hinauf.
Mit Brinkus und U.W. verließ ich die "Halle". Daphne, ihre Freundin Tharya und Velvet folgten uns und erzählten, Rafa habe Daphne um keinen Preis im Taxi mitnehmen wollen. Daphne vermutete, daß Greta dagegen war, daß sie mitfuhr.
"Greta!" fauchte Velvet. "Wenn die nochmal was zu mir sagt, haue ich ihr eins in die Fresse! Die ist so falsch, die ... Daß ihr Mitbewohner mit der zusammengezogen ist, war echt der größte Fehler, den der machen konnte."
Die Mädchen sind sich einig darüber, daß Rafa mit Greta nur zusammen ist, weil sie ihm eine Übernachtungsgelegenheit in H. bietet.
Als wir zur Stadtbahnhaltestelle gingen, fuhr ein Taxi an uns vorbei. In dem Taxi sah ich zwei Köpfe, den des Fahrers und den von Greta. Greta saß rechts auf der Rückbank. Das konnte heißen, daß Rafa sich über ihre Knie gebeugt hatte. Es konnte aber auch heißen, daß Rafa gar nicht mit Greta heimfuhr, sondern mit Kappa.
Vielleicht hat Rafa Daphne nicht mitnehmen wollen, weil er verheimlichen wollte, daß er nicht vorhatte, mit Greta zu fahren. Vielleicht hat Rafa gewartet, bis alle fort waren, die nicht wissen sollten, wo er die Nacht verbrachte. Dann erst hat er Greta ins Taxi gesetzt.
Rafa meldet sich nicht mehr bei Saara, seit er mit Greta zusammen ist. Es kann sein, daß Rafa sich für sein Verhalten schämt und nicht darüber sprechen will. Es kann auch sein, daß er vor Saara verbergen möchte, was zwischen ihm und Greta tatsächlich abläuft.

In einem Traum, den ich kürzlich hatte, wurde Greta mir gegenüber sehr aggressiv.

Ich frage mich, ob Greta mitbekommen hat, welche Art von Beziehung zwischen Rafa und mir besteht.
Von Daphne weiß ich jetzt, daß Rafa Velvet gar nicht im Krankenhaus besuchen wollte. Er kam nur mit, weil Daphne ihm zum Ausgleich für zwei bis drei Stunden dabei half, in Saids Bistro die Stühle zu streichen.

Ein Traum handelte von einer fremden Kultur, in der es üblich war, auf eine merkwürdige Art Selbstmord zu begehen. Männer, oft noch jung, setzten sich kunstvoll gearbeitete Masken auf, die ihre Köpfe ganz verbargen. Dann brachten sie sich um. Einige legten sich ins Wasser, bis sie ertrunken waren. Einen besonderen Anlaß für den Selbstmord hatten sie nicht.
Im Fernsehen sah ich eine Dokumentation über diese Kultur. Die Dokumentation wirkte nüchtern und sachlich-trocken. Ich aber regte mich sehr darüber auf, daß junge Menschen sinnlos ihr Leben wegwarfen. Vielleicht war dies der Grund dafür, daß ich in die fremde Kultur eintauchte. In einem Zimmer mit Barocktapeten traf ich zwei der jungen Männer, denen ihr Leben so wenig wert zu sein schien. Es waren Rafa und Kappa. Sie führten eine Performance auf, in der sie ihren Selbstmordkult grotesk überzeichneten. Der Humor in dieser Show beruhigte und erleichterte mich. Es kam mir vor, als wenn Rafa und Kappa den Unsinn ihres Selbstmordkultes erkannt hatten, und das war ihr erster Schritt, um davon loszukommen und den Wert ihres Lebens schätzen zu lernen.

Am Samstag hingen vorm "Elizium" noch die Plakate für das Osterfestival in HF. Auf beiden Plakaten war der Schriftzug "W.E" mit einem Taschenmesser durchschnitten worden. Die anderen Bandnamen waren heilgeblieben.
"Welch ein Haß", dachte ich.
Als seltener Gast kam Miro ins "Elizium", dem ein Trauerfall passiert ist. Miros Schwager ist im Alter von erst achtunddreißig Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Er stand Miro so nahe wie ein Bruder. Ich finde es schwer, mit Trauernden so zu sprechen, daß es ihnen hilft. Es geht um die Frage, wie man einen endgültigen Verlust verarbeiten kann.

Ein Traum handelte von einem Mann, der aus dem Jenseits ins Leben zurückkehrte. Die Leute, die ihn verehrten, empfingen ihn und verliehen ihrer Begeisterung stürmischen Ausdruck. Die Ehefrau, die ihn aus dem Jenseits zurückgeholt hatte, hielt sich im Hintergrund. Die Ehefrau war ich.

In einem anderen Traum wollte ich in einem Geschäft für Trachtenmode ein Brautkleid anprobieren. Das Geschäft hatte nur überangepaßte, spießig wirkende Kundschaft, und die Leute, die es führten, waren nicht anders. Eine ältere, streng aussehende Frau jagte mich fort. Sie meinte, ich würde die Atmosphäre im Geschäft stören.

Wie die einen mich mögen, hassen mich die anderen. Wo soll mein Platz sein in dieser Welt? Wo finde ich Ruhe?
An Unsicherheiten und Gefahren denke ich viel, an jene "echten" Zombies, das Gesindel, das in den Straßen lungert. Das Leben ist wie ein Videospiel, in dem es darum geht, diese "Zombies" zu erkennen und ihnen auszuweichen. Man müßte solch ein Spiel machen; das würde ich gerne spielen.
Velvet kam am Dienstag zu Saara und brachte ihr fünf Bilder von Kappa mit. Eines gab sie ihr gleich; die anderen sollte Saara erst haben, wenn sie für Velvet Fotos von Rafa besorgt hat. Velvet wußte, daß Lara Rafas Auftritt in Frauenkleidern fotografiert hat; sie wagt es aber nicht, selbst auf Lara zuzugehen und sie um Abzüge zu bitten.
Die Fotos, die ich von Rafa bei seinem letzten Besuch gemacht habe, sind etwas geworden. Auch das Bild, das er von mir gemacht hat, ist etwas geworden. Schärfe, Lichtverhältnisse und Bildausschnitt stimmen. Als Rafa Benedict und Anwar fotografiert hat, hat Anwar sich die Hand vors Gesicht gehalten. Rafa hat außer den beiden Jungen auch noch die Bilder an meiner Wand aufgenommen, Bilder, auf denen er selbst zu sehen ist.
Velvet hat schon am Montagabend wieder bei Rafa angerufen, um sich mit ihm zu verabreden. Er gestattete ihr ohne Zögern, ihn sogleich zu besuchen. Sie lehnte ab, weil es schon elf Uhr war. Sie wollte ihn an einem anderen Tag treffen. Dies lehnte Rafa ab, mit der Begründung, er habe keine Zeit. Er zählte Velvet lauter Sachen auf, die er in den kommenden Tagen zu erledigen hätte. Am Dienstag beispielsweise wollte er in Saids Bistro "Hunger & Durst" arbeiten und anschließend zu Greta fahren.
Ende April waren wir bei "Klangwerk", wo auch ein schräges Stück von Bär & Co. lief, "40 Hasen" ("Das gehört zum Autofahren. Wenn du fahren willst, mußt du auch töten. Ich bin ein Massenmörder.").
Darien war wieder da, und ich erzählte ihm, daß ich mit ihm gern vor der Kamera zu einem Stück von den Dachauer Lustknaben tanzen würde. Es sieht so schön jenseitig aus, wenn wir dazu tanzen. Darien war gleich einverstanden. Er will sich die erforderliche Technik anschaffen, um Filme digital zu bearbeiten. Ich sagte ihm, wie sehr mich das interessiert. Bevor Darien heimging, reichte er mir noch ein Zettelchen mit seiner Adresse.
Clarice hat mir erzählt, daß Rafa an dem Samstag nicht im "Elizium" gewesen ist, als ich bei "Klangwerk" war. Zum "Tanz in den Mai" will er aber gehen, heißt es; vielleicht rechnet er damit, daß ich nicht komme. Ich habe wirklich nicht vor, hinzugehen.
Saara wird häufig von Velvet gebeten, bei Rafa anzurufen. Velvet ruft selbst auch sehr oft bei Rafa an, und das führt nicht immer zum Erfolg. Die Mutter von Rafa soll schon recht kurz angebunden sein, wenn Velvet sich meldet.
Greta gilt in Mädchenkreisen als falsches Luder. Sie soll es nur auf Männer abgesehen haben, die in der Szene bekannt sind oder die sie einem anderen Mädchen wegnehmen kann. Demnach hat sie sich an Rafa nur wegen äußerlicher Gründe herangemacht. Angeblich soll sie mit Rafa "überglücklich" sein.
Lara klagte Saara ihr Leid. Rafa soll Lara nicht gerade nett behandeln, seit er mit Greta etwas hat. Einen Tag nach seinem Besuch bei mir fing Rafa im "Zone" das Verhältnis mit Greta an. Wenn Greta betrübt dreinblickte, wurde sie sogleich von Rafa gefragt, was denn los sei. Lara wurde von Rafa weit weniger Beachtung geschenkt. Rafa ruft Lara seither bloß noch an, um sie zu fragen, ob sie ihn und Greta nicht zu dieser oder jener Veranstaltung fahren könne. Lara hat dazu wenig Lust; sie kann Greta nicht mehr ausstehen. Dennoch schafft Lara es nicht immer, abzulehnen. Übrigens soll es Laras Idee gewesen sein, Rafa in Frauenkleidern auf die Bühne zu schicken. Rafa bat Lara nach diesem Auftritt, mit ihm und Greta nach SHG. zu fahren. Dies lehnte Lara ab. Rafa fuhr am darauffolgenden Tag mit Greta nach SHG., und beide erschienen am Abend zu Ivcos Geburtstagsfeier. Rafa bat Ivco und später auch noch Lara, für ihn und Greta Fahrerdienste zu übernehmen.
Rafa verletzt Lara gern, indem er Sprüche über ihre Figur macht:
"Tja, Lara, wenn du nicht so dick wärst, würde das zwischen uns beiden ganz anders aussehen!"
Lara ist nicht selbstbewußt genug, um zu antworten:
"Was für eine Figur ich habe, ist meine Sache!"
Kurz nach seinem Besuch bei mir hat Rafa Lara eine merkwürdige Frage gestellt:
"Kennst du eigentlich die Geschwister Scholl?"
"Das haben wir mal in der Schule durchgenommen", antwortete Lara. "Aber so genau weiß ich das nicht mehr."
"Das ist wichtig!" mahnte Rafa. "Das muß man wissen!"
Jetzt hat er sich meine Meinung angezogen wie ein Mäntelchen und gibt gleich den Schulmeister.
Saara kennt noch einen anderen Fall, in dem Rafa meine Ansichten "kopiert" haben könnte:
Im letzten Sommer wollte Rafa Saara immer zu sich nach Hause einladen. Er fragte sie:
"Hast du einen Freund? Du darfst mich nur besuchen, wenn du keinen Freund hast."
Saara hat den Verdacht, daß dies eine Anspielung war auf die von mir aufgestellte Regel, daß Rafa nur mit mir sprechen darf, wenn er keine Freundin hat.

Ein Traum handelte von einem Mädchen namens Helene, das saß abends allein am Tisch. Nur die Wirtschafterin war noch in der Wohnung. Helene war traurig, weil ihr Schatz ausblieb. Über den Balkon schlichen drei Mädchen heran, die schauten durch die Fensterscheibe ins Zimmer und machten sich lustig über Helene, die auf ihren Schatz warten mußte. Der Balkon verband mehrere Wohnungen und Flure miteinander. Als die drei Damen wieder in ihre eigene Wohnung zurückkehren wollten, begegnete ihnen im Flur ein weißes Gespenst. Das Gespenst war Helenens Schatz; er machte sich zuweilen einen Spaß, indem er sich in ein Gespenst verwandelte. Er erschreckte die Mädchen und flirtete mit ihnen. Den drei Mädchen gefiel der Schabernack; schließlich wurde ihnen die Sache aber doch ein wenig unheimlich, und sie gingen in ihre Wohnung und legten sich schlafen. Das Gespenst schlüpfte wie ein weißer Nebel durch die Türritze. Es warf die Schuhe der Mädchen aus dem Schrank. Ehe es noch mehr Unsinn anstellen konnte, wachte ich auf.

Rafa geistert nachts herum und macht die Damenwelt unsicher. Er treibt sein Spiel mit den Mädchen, die ihn nicht durchschauen. Welche Rolle spiele ich für ihn? Wie lange sitze ich noch am Tisch und warte auf das Nachtgespenst?
Am einem Abend war es sehr schön draußen. Constri und ich gingen zwischen blühenden Bäumen hindurch und atmeten den Duft ein. Wann werde ich mit Rafa je einen Frühlingsspaziergang machen können?
Als ich Anfang Mai zur "Halle" kam, hingen an einer Mauer Plakate, auf denen Rafa ein Konzert in einer Location namens "Windmühle" in der Nähe von SHG. ankündigte. Er möchte im Rahmen einer NDW-Party auftreten. Ein großes Schwarzweißfoto zeigt Rafa und Dolf beim Musizieren. Beide tragen Anzüge und Sonnenbrillen. Ich finde Rafa auf diesem Foto besonders süß - wie er da steht, ganz aufrecht, und ein Schellentambourin schlägt. Ich finde es nur schade, daß man seine Augen nicht sehen kann.
In der "Halle" war Rafa nicht, und Greta und Lara waren auch nicht da. Dolf war aber gekommen, mit seiner Freundin und einigen anderen Leuten. Dolf lief mir häufig über den Weg. Ich hatte den Eindruck, daß er mich beobachtete, aber das kann täuschen.

In einem Traum stand ich vor der Mauer, wo die Plakate hängen. Bei mir waren Saara, Tonia und noch andere von meinen Bekannten. Rafa kam aus der "Halle". Er war umringt von Groupies. Unter ihnen waren Greta und Lara. Rafa schien mich nicht zu bemerken. Ich fotografierte ihn. Als ich noch ein weiteres Bild machen wollte, wurde er von seinen Groupies weggezogen und abgeschirmt. Er folgte widerstandslos. Als die Groupies mit ihrer "Beute" schon ein gutes Stück entfernt waren, kehrte Lara noch einmal um.
"Ey, Mensch - kannst du vielleicht mal damit aufhören, ihm mit der Kamera aufzulauern?" rief sie giftig. "Echt, das geht dem voll auf die Nase!"
Ich erwiderte nichts darauf. Lara lief zu ihren Leuten zurück.
"Ich nerve Rafa nicht", sagte ich zu meinen Leuten. "Ich rufe ihn nicht an, ich spreche ihn nicht an, ich gehe nicht zu seinen Konzerten. Die Groupies wollen mir das unterschieben, was sie selbst tun."
Ich fand eine Brücke, von der aus ich Rafa noch einmal fotografieren konnte, wenn er mit seinem Trupp darunter hindurchging. Rafa nahm aber nicht diesen Weg. Saara machte sich auf, um Erkundigungen einzuziehen. Wir anderen warteten an dem Loch im Zaun, durch das wir das Fabrikgelände betreten hatten. Ich wollte ein Gruppenfoto von meinen Begleitern machen. Leider fehlte Saara noch.

Vor drei Jahren hat die Sängerin in einem giftigen Tonfall zu mir gesagt:
"Sammal, kannste vielleicht ma' damit aufhör'n, ihn anzupacken?"
Jetzt, in diesem Traum, hat Lara etwas ganz Ähnliches zu mir gesagt. Ich schließe daraus, daß Lara es immer noch auf Rafa abgesehen hat. Sie verteidigt ihre "Beute", ist aber dem Rafa selbst nicht gewachsen, wie es bei der Sängerin auch war. Rafa nutzt die Aggressivität seiner Verehrerinnen, um sich abzuschirmen ...

In einem anderen Traum war dort, wo vor der "Halle" die Plakate hängen, ein Monitor angebracht worden. Es gab eine Videoshow von und über Rafa zu sehen. Lara fotografierte den Monitor ab. Später gab sie mir einen Stapel dieser Fotos. Die Bilder waren zu einem Daumenkino geordnet. In dem Daumenkino konnte man den folgenden Film anschauen:
Zuerst sah man lange Zeit nur eine kreisrunde Form. Gegen Ende des Films kippte die Form, und es war erkennbar, daß es sich um einen Turban handelte. Unter diesem Turban schaute Rafa hervor, schelmisch grüßend. Gleich aber neigte er wieder den Kopf, und man sah nur noch die kreisrunde Form.

Rafa versteckt sich die meiste Zeit. Er läßt immer nur spät und kurz die Maske fallen.
Saara berichtete, es sei wahr, daß Lara nach wie vor mit Rafa zusammenkommen will. Dabei gefällt ihr sein Aussehen gar nicht. Es ist seine "Art", die sie reizt. Saara versucht, Lara vor Augen zu führen, daß Rafa nicht zu ihr paßt. Lara gab zu, daß sie eigentlich nach einem anderen Typ sucht. Fein gekleidet soll er sein. Als sie mit Rafa in S. war und ihr dort einer gefiel, soll Rafa biestig und eifersüchtig geworden sein. Vielleicht will er seinen Karren voller Groupies ganz für sich allein haben.
Greta ruft Lara in letzter Zeit öfter an, um ihr Leid zu klagen.
"Ich glaube, der Rafa nutzt mich nur aus", soll sie gejammert haben. "Der schickt mich immer in die Küche und will, daß ich Nudeln koche."
Greta trifft Rafa durchaus nicht nur am Wochenende. Nach der Arbeit fährt sie immer gleich mit dem Zug zu ihm und bleibt bis zum späten Abend. Ohne Widerrede tut sie alles, was Rafa von ihr verlangt. Anstatt sich zu weigern, ruft sie Lara an und jammert.
Ich habe den Eindruck, daß Rafa sich über die Unterwürfigkeit und Naivität seiner Groupies lustig macht. Er treibt es so weit, wie er es treiben kann. Er schaut zu, wie andere sich von ihm einspannen und ausnutzen lassen und fühlt sich überlegen.
Rafa und Greta rufen neuerdings alle beide häufig bei Lara an, um sie um Fahrerdienste zu bitten. Sie haben Lara auch gebeten, sie am Freitag zur "Halle" zu fahren. Lara wollte aber selbst nicht in die "Halle", und so wurde es nichts.
Saara ist inzwischen verliebt in einen jungen Adligen aus WÜ., mit dem sie wahrscheinlich nie etwas anfangen wird, denn er ist schwul. Saara hat jedoch aus dieser Erfahrung gelernt, daß Kappa noch nicht das Ziel ihrer Sehnsüchte ist und daß sie noch nicht weiß, was sie eigentlich für einen Mann haben will.
Am ersten Samstag im Mai war Rafa nicht im "Elizium", nur Dolf mit seiner Freundin. Ich blieb lange und kam erst nach fünf Uhr morgens heim. Um sechs klingelte das Telefon.
"Ja?" meldete ich mich.
Am anderen Ende der Leitung hörte ich zuerst nichts, und ich dachte schon, das wäre wieder einer von diesen Unbekannten, die manchmal anrufen und nichts sagen und nur wieder auflegen. Schließlich aber begann der Anrufer zögernd zu sprechen:
"Also, das ist ja echt ... kaum zu glauben, daß du zu dieser nachtschlafenden Zeit noch 'rangehst."
"Aber ich bin doch gerade aus dem 'Elizium' zurückgekommen."
"Wie war's denn im 'Elizium'?"
"Oh, das war echt ganz gut. Ich meine - dich habe ich natürlich vermißt. Aber das war ja nicht zu vermeiden."
"Ich wäre fast gekommen."
"Und warum bist du nicht gekommen?"
"Weil ich mit Anwar in SHG. war."
"Und wo warst du da?"
"Ich war an fünf Orten gleichzeitig."
"An fünf Orten gleichzeitig?"
"Nein, nacheinander."
"Wo warst du denn überall?"
"Auf zwei Parties und in acht Kneipen."
"Auf zwei Parties und in acht Kneipen ..."
"War Dolf im 'Elizium'?"
"Ja, der war da."
"Oh - echt?" wundert sich Rafa. "Oh, Mann, ja."
"Der war auch in der 'Halle'."
"Ja, das wußte ich ja."
"In der 'Halle' war es eher langweilig. Ich meine, beim vorherigen Mal war es in der 'Halle' alles andere als langweilig!"
Ich erzähle, wie sehr mir Rafas Auftritt in Frauenkleidern gefallen hat.
"Hast du mich erkannt?" möchte er wissen.
"Also, erst nicht."
"Oh, das ist ja echt toll!" strahlt Rafa. "Dann habe ich ja fast erreicht, was ich wollte!"
"Erst habe ich mich nur gefragt, was ist das denn da für ein komisches Gör auf der Bühne? Ja, Lillien, die kleine Krankenschwester, die hat dich erkannt, und die hat nur gesagt: 'Rafa.' Und da habe ich gemeint: 'Was - wo denn?'"
Rafa lacht leise vor Vergnügen.
"Und dann bin ich nach vorn gegangen", erzähle ich weiter, "und wollte mal gucken, was ist denn da los? Was ist denn das da eigentlich? Na, von der Figur kommt das ungefähr hin ... und das Gesicht ... Und da habe ich dich erkannt. Das war aber erst nach dem dritten Lied."
"Hast du die Musik erkannt?"
"Nein - weil das alles englisch gesungen war. Ich habe mich nur gefragt, was ist denn das für eine komische Musik ..."
"Das war aber noch nicht alles! Da sind echt Leute auf mich zugekommen und haben mich gefragt, wer war die Band, die da eben gespielt hat? Gibt es da schon ein Tape von? Und so weiter."
"Was ... ich kann mir gar nicht vorstellen, daß die dich wirklich nicht erkannt haben. Du hast doch irgendwann die Perücke abgenommen."
"Ja - trotzdem!"
"Das ist echt kaum zu glauben, nein, das ist echt nur geil ..."
"In vierundzwanzig Stunden haben wir das auf die Beine gestellt", erzählt Rafa voller Stolz. "Am Donnerstagabend hat Kappa mich angerufen und mir gesagt, daß die Band ausfällt. Und er hat gefragt, ob nicht W.E spielen können. Da habe ich gesagt, W.E tritt in der 'Halle' nicht mehr auf."
"Das ist wohl auch besser so. Da hast du doch einen Weg gefunden, aufzutreten, ohne ausgebuht zu werden - ja, im Gegenteil - ich fand es so toll. Ich habe selten so gelacht. Ich habe mich so dermaßen amüsiert."
"Das war echt so viel Arbeit ... ich habe mir noch von so einem alten Travestiekünstler Sachen ausgeliehen ..."
"Ich dachte, Lara hätte dir die Sachen geliehen."
"Ja, die hat mir auch was geliehen. Und dann habe ich noch eine Sängerin aus SHG. die Lieder von W.E auf Englisch singen lassen ..."
"Vanessa?"
"Genau."
"Vanessa, die kann wirklich gut singen."
"Ja, die kann das", sagt Rafa schnell, als sei ihm das Thema "Sängerin" unangenehm.
"Das war auch das englische Singen, womit du dich unkenntlich gemacht hast", setze ich hinzu. "Besonders geil war auch noch die Idee, wie du dich nachher auf Karaoke bedankt hast ... 'Thank you!' ... Also, das fand ich echt hervorragend. Und wenn ich mal was gut finde, dann will das echt schon was heißen! Nich'? Da hätte ich am liebsten auch ein Video von."
"Sowas macht man einmal, und dann behält man das im Herzen."
"Ach, mir genügt das nicht. Ich hätte gerne ein Videofilmchen davon."
"Ich habe echt ... zwei Leute engagiert, die da Fotos machen, und kein einziges der Fotos ist was geworden."
"Tja, ich hätte mal fotografieren müssen! Dann wären die Bilder was geworden."
"Ich habe echt ... sechsunddreißig Bilder machen lassen, und die sind alle nichts geworden."
"Wenn ich fotografiert hätte, dann wären die Bilder was geworden", bin ich überzeugt. "Die Bilder, die ich von dir gemacht habe mit diesem Brotbrett und dieser komischen dünnen Plastikhand, die sind ja auch alle was geworden."
"Ja?" fragt Rafa neugierig. "Taugen die?"
"Ja. Es sind zwar alles Schnappschüsse, weil, du wehrst dich ja dagegen, daß ich dich richtig fotografiere. Aber für Schnappschüsse sind die wirklich in Ordnung. Die sind alle scharf geworden, die Ausleuchtung stimmt, und der Bildausschnitt stimmt auch. Und man kann das wirklich sehr schön sehen, diese unvergleichliche Mimik, wie du da mit dieser dürren Plastikhand da 'rumfummelst ... am liebsten möchte ich ja nochmal ein Bild von dir machen, wie du dir diese Hand vor den Mund hältst oder so an die Wange. Das fand ich besonders schön, und da habe ich auch am meisten gelacht. Aber das wolltest du ja dann immer nicht. - Vor der 'Halle' hängt ja dieses Plakat von dir. Das Foto muß ich echt unbedingt haben. Echt, das fand ich so niedlich ..."
"Ach ... das ... 'Hallo, hier spricht W.E'?"
"Ja, das ist das Foto, wo du da stehst mit der Schellentrommel."
"Ach, das hast du schon gesehen?" staunt Rafa. "Das hängt da echt noch gar nicht lange. Das hast du schon gesehen ..."
"Ja, sicher. Ich bin ja mit Merle da langgekommen. Da habe ich das gesehen."
"Das ist echt noch ganz neu."
"Das hängt auch sonst noch nirgendwo. Das habe ich bis jetzt nur da gesehen. Und ich frage mich nur, wie ich an dieses Foto 'rankomme. Die Plakate sind nämlich festgeleimt ..."
"Tjaa!"
"... und die kann man nicht abmachen, weil man die sonst zerstören würde. Und ich muß echt, verdammt nochmal, an dieses Foto kommen, weil ich mir das nämlich an die Wand hängen will - das Bild von dir."
"Tja. Na ja, als Gegenleistung dafür, daß du mir immer die ganzen Videokassetten ausleihst, könnte ich dir ja mal so ein Plakat geben."
"Ja. Ich weiß, daß du freigiebig bist und daß du mir das gerne geben willst. Aber ich weiß auch, daß es bei dir nicht so sicher ist, ob du das, was du versprochen hast, auch einhältst."
"Ich halte alle meine Versprechen!"
"Ja ... sagen wir mal so, es ist dann eigentlich immer eine Frage der Zeit, ne? Das habe ich mir da eigentlich auch gesagt, ne? Ich habe mir einfach gesagt, es ist mehr oder weniger eine Frage der Zeit. - Wie geht es dir denn?"
"Na, ja ...", antwortet Rafa zögernd, "ich bin betrunken ... ich bin einsam ..."
"Oh, einsam. Ohh, ja, ja."
"Hast du denn ... schon geschlafen?"
"Nein."
"Warum denn nicht?"
"Ich bin doch eben erst aus dem 'Elizium' wiedergekommen."
"Ach, du bist gerade erst wiedergekommen?"
"Ja."
"Ach, ist ja ...", grinst Rafa in sich hinein, "haa, ist ja irre."
"Ich war bis halb fünf im 'Elizium'. Und dann bin ich nach Hause gefahren. Ich habe gerade nur mein Nachthemd angezogen."
"Is' ja irre. Ich bin auch erst gerade 'reingekommen, vor ein paar Minuten."
"Und dann hast du mich angerufen."
"Also, wenn ich betrunken bin - wie es gerade der Fall ist -, dann kriege ich manchmal so ein Gefühl."
"Was denn für ein Gefühl?"
"Dann muß ich einfach irgendwen anrufen", lenkt Rafa von dem Verdacht ab, daß er Sehnsucht nach mir gehabt haben könnte. "Ich habe schon bei verschiedenen Leuten angerufen und ein paarmal klingeln lassen, und wenn niemand abgenommen hat, dann habe ich es bei dem Nächsten versucht, und du hast halt abgenommen, und deshalb habe ich dich angerufen."
"Ah ja, du hast mich also auch auf dieser Liste."
"Ja."
"Ich könnte so unbefangen mit dir reden ... ich könnte dir erzählen, was ich immer so mache und worüber ich nachdenke und worum ich mir Sorgen mache und was ich gerne mit dir machen würde ... ich könnte so unbefangen mit dir reden, wenn es nicht immer so viel geben würde, wegen dem ich mit dir abrechnen muß."
"Was soll es denn da geben?"
"Wenn du nicht immer Steine zwischen uns werfen würdest, wenn du nicht immer mauern würdest. Ich kann dich nicht verdreschen. Das ist absolut unmöglich. Ich kann dir kein Leid antun. Ich kann dich nicht hauen. Das kann ich absolut nicht."
"Ach, das brauchst du nicht. Mich hat erst was Weibliches gehauen."
"Haha", lache ich, "Schadenfreude ist die schönste Freude ... haha ... wer das wohl war ..."
"Das war eine alte Schulkameradin, die ich seit sechs Jahren kenne", zerstört Rafa meine Hoffnung, daß es Greta gewesen sein könnte. "Die hat mir gesagt, was für ein mieses Schwein ich doch sei. Und dann hat sie wohl gemeint, daß sie mich treten müßte."
"Was sind das denn für Umgangsformen ... was ist das denn für ein Niveau ..."
"Wie geht's eigentlich Carl?"
"Ich glaube, es geht ihm ganz gut", erzähle ich. "Der war heute auch da, im 'Elizium'. Da habe ich ihn gesehen."
"Und im 'Elizium' war's nicht so gut?"
"Doch, es war im 'Elizium' gut. Es kam ziemlich gute Musik wieder, auch Industrial-Sachen und so weiter ... also, das war ziemlich gut da."
"Hast du am 25. schon was vor? Das ist Pfingstsamstag."
"Nein, da habe ich noch nichts vor."
"Da treten wir in Whs. bei SHG. auf."
"Ja, das weiß ich. Das steht doch auf dem Plakat."
"Ach, das weißt du auch schon? Ich würde mich sehr freuen, wenn du kommen würdest."
"Ich will gerne kommen", sage ich ernst. "Ich freue mich, wenn ich dir eine Freude machen kann. Ich will dir etwas schenken. Ich will dir eine Freude machen. Ich will etwas für dich tun. Ich freue mich, wenn du dich freust. Aber ... wenn ich dann die ganzen Groupies sehe, wenn du mit den Groupies 'rumknutschst, dann bleibt mir die Luft weg, dann wird mir einfach nur noch schlecht, dann wird mir einfach nur noch kotzübel, und ich denke nur noch eins:
'Weg! Weg hier! Weg hier!'
Das ist einfach zuviel. Das halten meine Nerven nicht aus. Das geht wirklich einfach zu weit. Das kann ich nicht. Das kann ich nicht. Ich weiß, ich leide, wenn du leidest. Und wenn ich etwas ablehne und wenn ich zu deinen Konzerten nicht komme, und du leidest darunter, dann bin ich traurig, weil du traurig bist, und ich leide darunter dann. Aber es geht nicht anders. Ich kann dann nicht kommen, wenn ich immer damit rechnen muß, daß die Groupies wieder ankommen. Die Groupies bilden Gruppen, und dann machen die eine Telefonaktion und rufen dich an und besuchen dich. Und die machen dann alles für dich, die kochen für dich und machen dir das Bett ... Was soll ich denn da noch tun, wenn die Groupies schon alles für dich tun?"
"Ja, was willst du denn für mich tun?"
"Dich ... irgendwie versorgen oder dir Geborgenheit geben ... mit dir gehen, wenn du irgendwohin fährst ... dir was schenken ..."
"Ich brauch' so viel Geborgenheit", gesteht Rafa, "echt, ich hab' solche Defizite, echt, das kann mir ein einzelner Mensch gar nicht geben, glaube ich."
"Daß du große Defizite hast, das weiß ich wohl. Aber die Geborgenheit wirst du bestimmt nicht bekommen von zehn verschiedenen Groupies, die du auch noch jährlich wechselst. Die werden dir das bestimmt nicht geben."
"Und du meinst, du kannst mir das geben?"
"Ja."
"Du kannst mir das nicht geben."
"Aber du hast es ja noch gar nicht versucht. Du hast dich ja noch nie auf eine Beziehung mit mir eingelassen. Vor allen Dingen emotional hast du dich noch nie auf mich eingelassen."
"Ja, weil du mich viel zu sehr ändern willst."
"Na ja, wenn du eine Dienerin hast, die Tag und Nacht um dich 'rum ist ..."
"Darum geht's doch gar nicht", meint Rafa. "Es geht um was ganz anderes. Und du könntest mir das echt niemals geben."
"Rafa, du hast es doch noch gar nicht versucht", wende ich ein. "Du läßt mich nie an dich heran. Immer mußt du Mauern zwischen uns errichten. Du kannst mir einfach nicht vertrauen. Das ist es - du kannst mir einfach nicht vertrauen. Du schaffst es einfach nicht, mir zu vertrauen."
"Ja, aber ich hab' dich doch angerufen."
"Ja, das stimmt - du machst Schritte auf mich zu. Das ist so. Du machst wirklich Schritte auf mich zu; das ist schon wahr. Etwas tust du. Aber du hast dich noch nie wirklich auf einen Menschen eingelassen. Die Groupies, die denken doch alle eh nur an sich selbst. Die denken nur daran, wie sie sich 'rausstellen können und -
'Haa, ich bin mit dem tollen Rafa zusammen!'
Denen geht es überhaupt nicht um dich. Denen geht es auch nicht um deine Gesundheit. Wenn du dich totrauchst und wenn du AIDS kriegst, das ist denen alles vollkommen egal. Denen geht es gar nicht darum, daß es dir gut geht und daß deine Kleider in Ordnung sind. Das ist denen alles völlig egal. Denen geht es nur darum, daß du zu ihnen sagst:
'Du bist meine Freundin.'
- und daß sie dann sagen können:
'Ah, ich bin mit dem großen Rafa zusammen!'"
"Ich bin nicht der große Rafa."
"Das weiß ich doch. Du bist ein ganz normaler Mensch mit Fehlern und Schwächen, und das ist ja auch das, was ich will. Ich will keinen Halbgott. Ich will einfach nur einen ganz normalen Menschen, eben dich."
"Willst du, daß ich glücklich bin?"
"Ja, das will ich. Ich will, daß du glücklich bist. Du wirst aber nur glücklich, wenn du dich für einen Menschen ganz entscheidest, und das muß auch ein Mensch sein, der dich wirklich liebt und dem es nicht nur darum geht, sich selber darzustellen. Es ist so schön draußen, und ich würde gerne mit dir spazierengehen, aber ich weiß, daß das nicht geht. Ich kann dich ja nicht erreichen. Das ist nicht so gemeint, daß ich dich nicht telefonisch erreichen kann. Ich versuche niemals, dich anzurufen. Ich würde das niemals tun. Ich würde niemals einen Schritt auf dich zugehen. Das mußt immer du tun. Das wird sich erst dann ändern, wenn du keine Steine mehr zwischen uns wirfst. Erst dann, wenn ich wirklich sichergehen kann, daß da nichts ist, erst dann kann ich auch dich mal anrufen. Ich würde das gerne mal tun, aber ich kann es nicht. Erst dann, wenn ich wirklich sichergehen kann, daß du da nichts mit irgendwelchen Frauen hast, erst kann ich dich mal anrufen."
"Der Rafa macht das schon."
"Was machst du schon, hm?"
"Ja, das mache ich schon."
"Was ist denn 'das'?"
"Sage ich nicht."
"Du sagst also, du machst das schon."
"Ja. Ich habe schon viel für dich getan, auch ohne daß du das unbedingt mitgekriegt hast", erzählt Rafa. "Du wolltest deinen Rucksack mit ins 'Nachtlicht' nehmen, und ich habe dafür echt - Prügel eingesteckt."
"Das weiß ich. Du hast schon sehr viel für mich getan. Das ist mir vollkommen bewußt."
"Ja, und der Sockenschuß, der wollte dich anmachen im 'Elizium', und ich habe ... mit dem geredet, und ich habe dich verteidigt."
"Ja, das ist wahr. Das ist die vollkommene Wahrheit. Du hast dich heldenmütig verhalten."
"Und ich habe noch mehr für dich getan, das du gar nicht unbedingt weißt."
"Ja, ich weiß, daß du schon sehr viel für mich getan hast und auch immer noch viel für mich tust."
"Ja, siehst du, und was tust du für mich?"
"Ach, das ist so schwer zu sagen ..."
"Ja, ja, nun, was?" fragt Rafa ungeduldig. "Was tust du für mich? Nichts, ne?"
"Es ist schwer, das abrufbar zu kriegen", erkläre ich, "das jetzt einzeln zu sagen und einzeln aufzuzählen. Das, was ich für dich tue, ist mehr subtil, das ist mehr im Hintergrund. Was ich auf jeden Fall mache, ist, daß ich mich wirklich um deine Gesundheit sorge. Daran denken die anderen nämlich nicht. Und ich denke daran. Ich mache mir darüber Sorgen. Und ich mache dich darauf aufmerksam, daß du dein Leben gefährdest. Und außerdem ..."
"Ja, was ... was ..."
"... ach, das ist schwer, dir das zu sagen", schluchze ich. "Ich will dir was schenken, und noch viel mehr."
"Wieso, was ist denn?" fragt Rafa. "Was ist denn los?"
"Ich will mit dir eine Familie haben, aber ich muß immer heulen, wenn ich daran denke."
"Warum mußt du das denn?"
"Ach ... ich weiß selber nicht. Ich kann es mir nicht erklären."
"Den Schlüssel dazu kannst ja wohl nur du finden, ne?"
"Ja, du hast recht. Das ist vollkommen wahr."
"Das kannst nur du allein herausfinden."
"Ja, das weiß ich. Ich fühle mich immer so oft verfolgt ..."
"Ja, wieso? Wer verfolgt dich denn?"
"Ich kann dir mal einen Fall erzählen. Kürzlich - es war vormittags -, da bin ich einkaufen gegangen, zu einer ganz normalen Zeit. Die Sonne schien, es war warm, ich hatte keinen Mantel an und war ganz normal angezogen ... ja ... und da rannte auf einmal so ein Penner hinter mir her."
"Wer rannte hinter dir her?"
"So ein Penner", wiederhole ich unter Tränen. "Und der ruft dann so -
'Schöne Beine, schöne Beine!'
- und grabbelt nach mir, und da habe ich ihn angebrüllt:
'Du Dreckschwein, ich hole gleich die Bullen!'
- und so - und da ist er weggerannt."
"Ja, und?" fragt Rafa. "Was hätte er dir tun können?"
"Es war ja nur ein Penner, aber es hätte ja auch ein Triebtäter sein können. Da habe ich ja auch schon mal einen abgehängt, und jetzt fahre ich halt nur noch Taxi."
"Und wenn es ein Triebtäter wäre, was könnte der dir tun?"
"Er könnte mich umbringen. Er könnte eine Waffe haben und mich umbringen."
"Und dann bist du tot. Ja, und?"
"Das ist mir aber nicht egal, ob ich lebe oder tot bin. Ich möchte heile bleiben. Ich möchte im Leben bleiben. Ich will nicht sterben."
"In der Situation kannst du im Endeffekt ja dann doch nichts mehr machen."
"Ich will das aber verhindern", erkläre ich. "Ich will nicht immer angegriffen werden."
"Überleg' dir doch mal, wie oft das denn vorkommt. Das ist vielleicht von hundert Malen einmal."
"Aber das geht mir dann jahrelang nach. Außerdem kann jedes Mal das Mal sein, wo ich umgebracht werde."
"Dann kann man ja eh nichts mehr tun. Aber wenn man von den Leuten, von solchen Leuten bestimmen läßt, wie man zu leben hat -
'Ohh, da könnte mich ja jemand verfolgen, jetzt gehe ich nicht aus dem Haus!'
- dann haben die ja praktisch schon gewonnen."
"Ja, du meinst, wenn man sich von denen die Lebensfreude nehmen läßt."
"Auch wenn man nur an die denkt, dann haben die doch schon gewonnen", findet Rafa. "Ich würde dann auch gerade machen, was ich will."
"Und wenn sie einen umbringen?"
"Wenn dich jemand umbringen will, dann kann er dich auch zu Hause umbringen."
"Ja, das stimmt. Sicher ist nichts, und sicher ist man niemals."
"Man sollte sich das von denen doch nicht vermiesen lassen; dann läßt man die doch gewinnen. Und solche Leute gewinnen zu lassen, das ist echt ... das Letzte."
"Das sehe ich wirklich genauso. Du hast da auf jeden Fall den richtigen Ansatz."
"Also, ich kenne das auch", erzählt Rafa. "Ich habe das auch schon erlebt, nur sind es bei mir dann keine Triebtäter, sondern es sind halt irgendwelche besoffenen Typen, die dann immer so sagen:
'He, hier was aufs Maul hier!'
- und so weiter. Da war erst kürzlich einer, der ist besoffen auf mich zugetorkelt und hat gesagt:
'Hier, du Penner, wie siehst du denn überhaupt aus? Läuft man so 'rum?'
- und so weiter. Und da habe ich dem einfach mal so ein paar Argumente gesagt, die dem total den Wind aus den Segeln genommen haben:
'Mensch, Junge, sag' mal, mußt du all deine Probleme im Alkohol ersäufen? Kannst du denn nicht normal darüber reden? Worum geht's denn eigentlich? Was willst du denn eigentlich von mir? Meinst du denn, daß du Probleme mit Gewalt lösen kannst?'
Nach zwei Minuten wußte der nicht mehr, was er sagen wollte, nach vier Minuten konnte der keine zusammenhängenden Sätze mehr 'rausbringen, und da habe ich nur noch gesagt:
'Junge, geh' aufs Klo, guck' mal in den Spiegel und denk' mal drüber nach.'
Da habe ich echt so ein asoziales A...loch voll plattgemacht. Und das ist ein Gefühl, da könnte ich mich echt drin suhlen. Da fühle ich mich echt sowas von stark."
"Das ist auch stark", bestätige ich. "Das ist auch das beste Verhalten. Du hast einfach auch den Mechanismus durchschaut. Aggression ist ja auch ein Mechanismus, und wenn das Opfer nicht mitspielt, dann kommen die Täter aus dem Takt."
"Das ist echt faszinierend, wie man das mit so ein paar Sätzen schaffen kann."
"Das stimmt; du kannst das auch. Das ist auch richtig; das ist die richtige Möglichkeit. So hat Mal das auch schon gemacht. Da war so ein Typ, der war völlig besoffen und randalierte da 'rum, und irgendwann ist er auf Mals damalige Freundin Alanna zugegangen. Da habe ich dann so zu Mal gesagt, he, du, der geht zu Alanna. Da ist der zu dem hingegangen. Und Mal ist ja nun echt ziemlich klein und schmächtig, und das war echt so ein riesiger Kerl, und Mal stellt sich vor den hin und erzählt dem was ... und zum Schluß gibt er ihm auch noch eine Einladung für die nächste Tanzveranstaltung."
"Das ist gut", lobt Rafa. "Das ist gut."
"Eben ... das fand ich so voll genial ...
'Ja, Junge, komm' mal wieder, wir freuen uns!'
- und so ..."
"Das ist einfach faszinierend, wenn die merken, daß sie da echt an den Falschen geraten sind."
"Ja, ich weiß, du bist stark. Du bist ein Mensch, der nicht so einfach aufgibt. Du bist eine Kämpfernatur. Du bist schon so oft angegriffen worden, und du läßt dich davon aber eben nicht unterkriegen. Am Eingang vom 'Elizium' hängen doch diese Plakate von dem Osterfestival in HF., wo auch der Name von deiner Band zu lesen ist. Und den Namen hat jemand mit einer Rasierklinge durchschnitten. Die anderen Namen sind alle heile geblieben."
"Ja, und?"
"Das ist nur ein Zeichen dafür, daß es eben auch viele Leute gibt, die dich ablehnen und angreifen."
"Ja ... jetzt müßte ich eigentlich auch langsam Schluß machen ... wir sehen uns dann am 25.?"
"Ich muß noch sehen ... Könntest du vorher nochmal mit mir telefonieren?"
"O.k., wir telefonieren nochmal vorher."
"Willst du mich anrufen, oder soll ich dich anrufen?"
"Das weiß ich nicht. Wir sehen uns ja spätestens dann."
Rafa will schon auflegen. Ich bremse ihn:
"Weil, wir müßten noch klarmachen ... guck' mal, das ist ja so ... das liegt ja JWD, Nord-Süd-West irgendwo draußen. Da komme ich ja nicht hin. Da müßte ich dann mit dir nämlich zusammen hinfahren."
"Das geht nicht", erwidert Rafa sofort, "weil, ich muß dann echt schon fünf Stunden vor Einlaß da sein, weil die Veranstaltung auch mehr oder weniger von mir gemacht wird. Ich muß ja da auch noch auflegen und so weiter."
"Na ja, da hast du dann schon recht; das ist schon recht. Dann muß ich mal Saara ansprechen, ob ich mit der dahin fahren kann. Das wäre dann noch die letzte Möglichkeit, daß ich mit Saara das zusammen mache. Ich möchte dir empfehlen, mich vorher nochmal anzurufen, damit ich sichergehen kann, daß da keine Groupies um dich 'rumwuseln. Da darf einfach nichts zwischen uns stehen, nichts und niemand. Da darf einfach kein Weib sein. Darauf kommt es an. Du mußt einfach den Groupies zu verstehen geben, daß die bei dir nicht landen können."
"Ich will da keine Abstriche machen. Ich habe das nicht in der Hand. Das kommt, wie es kommt."
"Wieso? Du bist doch ein freier Mensch. Du kannst doch entscheiden, mit wem du ins Bett gehst. Du kannst den Leuten doch zeigen, daß du nicht für jedermann da bist wie ein Karussell, wo jeder mal mitfahren kann."
Rafa will verdeutlichen, daß man ihn noch lange nicht hat, wenn man mit ihm schläft:
"Jeder kommt mal an mich 'ran. Aber nicht jeder kommt an mich 'ran."
"Egal, wie das jetzt so ist mit den Groupies - es geht einfach darum, daß du nicht mit denen 'rumknutschst und daß du nicht mit denen ins Bett gehst und so weiter", lege ich fest. "Darauf kommt es an, daß du mit denen nichts Körperliches hast."
"Wieso? Mit dir kann ich ja auch nichts Körperliches haben."
"Das ist doch gar nicht wahr", widerspreche ich. "Ich will doch immer etwas Körperliches mit dir haben, und du wehrst dich doch immer dagegen. Ich will so gerne zärtlich zu dir sein. Ich will dich streicheln. Ich will dich umarmen und küssen und so weiter und so weiter, und du wehrst dich immer nur dagegen. Du läufst doch weg, wenn ich dich streichle. Du wehrst mich ab, wenn ich zärtlich zu dir bin."
"Du bist immer auf eine aufgesetzte Art zärtlich", findet Rafa.
"Nein, das ist alles absolut echt", sage ich eindringlich. "Da ist überhaupt nichts aufgesetzt."
"Doch, das ist aufgesetzt."
"Nein, das ist überhaupt nicht aufgesetzt. Das ist vollkommen echt."
"Also ... ich muß jetzt wirklich Schluß machen ... wir sehen uns dann."
"Halt, das ist noch nicht sicher. Du müßtest mich vorher noch mal anrufen."
"Ja, mal sehen, vielleicht rufe ich dich vorher nochmal an. O.k. ... wir hören voneinander. Ciao."
"Ciao."
Nach dem Gespräch stand ich mit verschränkten Armen in meinem Zimmer und weinte, weil ich so gerne etwas für Rafa tun will und es nicht kann, weil er mich nicht läßt. Er ist mir innerlich so nah, und ich kann ihn doch nicht erreichen.
Am Vormittag habe ich Folgendes geträumt:

Dolf sprach mich an und bat um irgendeine belanglose Auskunft. Als ich ihm die Auskunft gegeben hatte, entfernte er sich gleich wieder.

Außerdem habe ich Folgendes geträumt:

In meinem Wohngebiet lagerten viel junge Menschen unter freiem Himmel. Sie waren Besucher eines Open Airs. Ich kam von einem Independent-Festival heim und fürchtete mich, weil ich das letzte kurze Stück meines Weges allein gehen mußte. Dann sah ich die Menschen im Gras schlafen; einige hatten sogar ihre kleinen Kinder bei sich.
"Diese Menschen vertrauen alle", dachte ich. "Und es sind so viele. Da kann eigentlich nichts passieren."

Wie Derek erzählte, ist Whs. ein Weiler, der noch nicht einmal von einem Bus angefahren wird. Die "Windmühle" ist wirklich eine alte Windmühle. Aus einem Szene-Magazin weiß Derek, daß Rafa dort schon öfter aufgelegt hat. Saara weiß, daß Rafa vor drei Wochen mit Kappa und Ace dort war. Lana hat in der "Windmühle" schon viele Goa-Trance-Parties besucht. Lanas Eltern stammen aus Goa, und umso mehr freut es Lana, daß die Musik, die sie mag, nach der Heimat ihrer Ahnen benannt wurde.
Siddra hat erzählt, daß Ivo Fechtner doch nicht Malda heiraten will. Er befürchtet, daß er für seine Frau Unterhalt zahlen muß. Und er will nichts, aber auch rein gar nichts für sie zahlen. Das Äußerste ist die Reizwäsche, von der er allerdings selbst einen Nutzen hat. Er teilt Malda mit, an welchen Tagen er sie in Lack und an welchen Tagen er sie in Latex zu sehen wünscht. Zwischen ihm und Malda gibt es fast täglich Streit, der meistens damit endet, daß sie ihren Verlobungsring in eine Ecke wirft. Ivo Fechtner wird dann zahm und beteuert, er wolle sich ja ändern.
Inzwischen gesteht Malda ein, sie sei von dem rechten Gedankengut des Ivo Fechtner beeinflußt worden. Ich frage mich, ob sie die Goebbels-Poster noch hängen hat, die er ihr zum Geburtstag geschenkt hat.
Sazar hat erzählt, daß er einmal mit Rafa und Kappa in der Mainstream-Discothek "Ashram" war. Kappa hat Sazar etwas ins Glas getan. Im Rausch hat Sazar in ein zerbrochenes Glas gefaßt und sich eine Arterie am Handgelenk aufgeschlitzt. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, und die Wunde wurde genäht. Rafa und Kappa mußten die Blutlache aufwischen.
Sazar wirft Kappa vor, ihn im Stich gelassen zu haben. In dem "Nachtlicht"-Vorläufer "Future" hat Sazar eine Synthi-Pop-Schiene gefahren. Kappa machte den Vorschlag, das "Future" in einen Underground-Laden zu verwandeln. Sazar half ihm dabei. Zwei Monate nach der Eröffnung des "Nachtlicht" randalierten Skinheads vor der Tür. Sie griffen Sazar an und verletzten ihn. Er holte die Polizei. Als Kappa das grüne Auto sah, soll er Sazar angeschrien haben: was ihm denn einfiele, die Bullen herzuholen?
Sazar vermutet, daß Kappa auf keinen Fall die Polizei im Hause haben wollte, weil er befürchtete, man könne Kokain finden.
Sazar glaubt, der Besitzer des "Nachtlicht", Donhausen, soll gar keine Schulden gehabt haben. Kappa soll es gewesen sein, der die Einnahmen des "Nachtlicht" unterschlagen hat, um seine Schulden zu begleichen.
Sazar ist allerdings parteiisch, weil er mit Meta befreundet ist. Und Rafa ist parteiisch, weil er mit Kappa befreundet ist. Die einander widersprechenden Aussagen von Rafa und Sazar können also beide nicht voll gewertet werden.
Nach Kappas Berichten hatte Sazar im "Future" mit der Synthi-Pop-Schiene nur mäßigen Erfolg. Kappa fand in der Umwandlung des "Future" in das "Nachtlicht" einen Weg, das passende Publikum zu gewinnen. Donhausen soll Kappa gefälschte Belege für Mietzahlungen gezeigt haben, die er gar nicht geleistet hatte; er soll also mehrere Monate lang Geld unterschlagen haben. Kappa sah sich von der Schließung des "Nachtlicht" überrascht; er habe am Montag davor die Lichtanlage reparieren wollen, und auf einmal sei die Polizei da gewesen und habe angekündigt, man werde den Laden versiegeln. Für das Durchbringen einer Einstweiligen Verfügung sei nicht mehr genug Zeit geblieben. Kappa habe gerade noch die teuren Geräte in Sicherheit bringen können und sei dann auf einem Berg Schulden sitzen geblieben, der sich durch die Einrichtung und Ausstattung des "Nachtlicht" ergeben habe. Als es das "Nachtlicht" noch gab, habe sich abgezeichnet, daß der Betrieb langfristig gewinnbringend arbeite; Schulden im Sinne eines schlecht laufenden Geschäfts seien nicht entstanden. Keinesfalls habe Kappa mehr als die Hälfte der Einnahmen für Kokain ausgegeben. Was Sazars Verhalten betrifft, so habe dieser sich im betrunkenen Zustand einige Male danebenbenommen, so daß ein Rauswurf mehr und mehr zum Thema geworden sei. Als Sazar schließlich gegen einen Zigarettenautomaten gekotzt habe, sei das Maß einfach voll gewesen. Rafa sei auf Kappa zugerannt und habe geschrien:
"Werft den Kerl endlich raus!"
Donhausen riet Kappa ebenfalls dringend, Sazar zu entfernen:
"Kappa, du mußt machen, daß er geht."
So sei es gekommen, daß der "Nachtlicht"-Betrieb sich von Sazar getrennt habe.
Als ich am Freitag in die "Ruine" kam, betonte Sareth immer wieder, wie sehr er sich darüber freue, daß ich da sei. Er wirkte fröhlich und etwas aufgedreht und spielte viele von meinen Lieblingsstücken, darunter "Sacrosancts bleed" von In Slaughter Natives, "Flesh" von Call, "Pain" von Arcana Obscura und "Stuttgart schwarz" von New Dimension.
Maleen hat einen neuen Freund und macht sich jetzt sehr schick zurecht, mit Zöpfchen im Pony und spitzenbesetzter Corsage.
Ein Mädchen aus HH. erzählte mir, daß es im "ZMK" mit der Abgabepflicht für Taschen schon lange vorbei ist. Zu viele Leute haben sich darüber beschwert, und die "Zwangsgarderobe" wurde schon nach zwei Wochen wieder abgeschafft. Also kann ich doch einmal wieder hingehen. Der Laden ist mittlerweile umbenannt worden und heißt jetzt "Loop".
Saara hat ein rasendes Japan Noise-Stück für sich entdeckt. Als ich ihr das irrwitzige Merzbow-Cover von dem "Zwei glorreiche Halunken"-Soundtrack "The Good, the Bad and the Evil" vorspielte, lachte sie laut und wollte es gleich aufgenommen haben. Der Soundtrack ist in diesem Stück jämmerlich zerfetzt worden.
Inzwischen haben Lana, Lillien, Zoë und Branca gesagt, daß sie gerne mit mir zu Rafas Konzert nach Whs. fahren würden. Aber keine von ihnen hat Zeit. Also will es das Schicksal nicht, daß ich Rafa diesen Gefallen tun kann.
Saara berichtete mir letztens, daß Rafa bereits vor dem ersten Maiwochenende zu Lara gesagt hat, auf Greta habe er "keinen Bock", und die würde ihn "nur noch nerven". Etwas ähnliches hat Rafa im März auch schon über Lisette gesagt. Er scheint das immer zu sagen, wenn er mit einem Mädchen nichts mehr zu tun haben will.
In der Tat ... das erste Maiwochenende hat Rafa ohne Greta verbracht. Er hat in SHG. in einer Pizzeria gestrichen. Lara besuchte ihn dort mit ihrer besten Freundin Nadine. Rafa bekniete Lara, mit ihm ins "Elizium" und später noch ins "Ashram" zu fahren. Lara lehnte ab. Rafa blieb in SHG.; anscheinend traute er sich nicht, allein mit dem Zug nach H. zu fahren.
Am Montag soll Rafa bei Lara gewesen sein. Er soll kein Wort über Greta gesagt haben. Als Lara ihm sagte, daß die Fotos von seinem Auftritt nichts geworden sind, schimpfte er sie furchtbar aus. Lara soll von Anfang an keine Lust gehabt haben, die Fotos zu machen.
"Mach' schon, mach' schon", hat Rafa sie getrieben, "du machst das schon."
Sie machte es nur widerwillig, mit entsprechend unbefriedigendem Ergebnis.
Am Dienstag rief Anwar bei Saara an und fragte sie, ob sie wohl Zeit hätte. Saara verneinte. Anwar fragte, ob nicht die ganze Runde aus SHG. auf einen Besuch zu Saara kommen könnte. Es sei ja schließlich Montag ...
In Wirklichkeit war es ja Dienstag.
Wahrscheinlich hat Rafa Anwar vorgeschickt, weil er sich selbst nicht traute, mit Saara zu sprechen.
Am zweiten Maiwochenende telefonierte Rafa freitags mit Lara und bat sie, am Samstag auf jeden Fall ins "Elizium" zu kommen, da er selbst auch kommen wolle. Er kam aber nicht. Stattdessen hatte er Greta zu Besuch. Am Sonntag fuhr er mit seinem Bruder und Greta nach HB. zum Flohmarkt. Nur wenige Stunden zuvor war ich auch in HB. gewesen, auf der Tanznacht in der "Ruine".
Für die Nacht zu Himmelfahrt hat Rafa geplant, mit Lara ins "Zone" zu fahren. Lara war nur bereit, ihn mitzunehmen, wenn er allein mitkam. Rafa meinte, vielleicht würde er aus dem "Zone" jemanden mit nach Hause nehmen. Weil Greta und Velvet ebenfalls geplant haben, ins "Zone" zu kommen, kann es sein, daß Rafa eine von diesen mitnehmen wollte. Es kann aber auch sein, daß Rafa ein ganz anderes Mädchen haben wollte, um Greta zu ärgern.
An Himmelfahrt hatte Rafa vor, in SHG. an der Wandmalerei in der Pizzeria weiterzuarbeiten. Er soll mit dem Streichen sehr schlampen. Immer wieder soll er den Besitzer vertrösten mit der Ausrede, er habe gerade keine Zeit. Ich frage mich, wie Rafa sich fühlt, wenn er die Verantwortung für sich und andere wegschiebt oder verleugnet. Ich frage mich, ob Rafa nach Gründen sucht, sich schämen zu müssen. Das könnte heißen, daß er sich wünscht, ausgeschimpft oder bestraft zu werden für seine Unzuverlässigkeit. Er macht seine Fehler mit Absicht ... vielleicht auch mit unbewußter Absicht. Er lädt Schuld auf sich, in der Hoffnung, daß man ihn zur Veranwortung zieht, zur Verantwortung zwingt.
Mitte Mai, genau drei Jahre nach meinem nächtlichen Spaziergang mit Rafa zum CITICEN - durch eine Betonwüste statt durch blühende Gärten - hatte ich folgenden Traum:

Mein neuvermählter Ehemann war so hübsch und blond wie Sareth. Ich heiratete ihn nach festen Ritualen, die wenig Raum ließen für eine Beziehung nach unseren eigenen Vorstellungen. Auf die Gestaltung und den Ablauf der Hochzeit hatte ich keinen Einfluß; alles wurde über meinen Kopf hinweg arrangiert. Am Ende der Feierlichkeiten gingen mein Gatte und ich ins Brautgemach. Da stand ein prächtiges Bett, umringt von Reklame für Aussteuer. "Virgins like ..." stand da, gefolgt von dem Namen einer Bettwäschefirma. Es war üblich, daß die Frau vor der Eheschließung keine körperlichen Beziehungen hatte. Als mein Gatte und ich versuchten, die vorgeschriebenen Paarungsrituale umzusetzen, merkte ich, daß ich mich diesen nicht unterordnen konnte und wollte. Ich sagte das meinem Angetrauten. Er wirkte ratlos. Die Tatsache, daß ich mich nicht erwartungsgemäß verhielt, überforderte ihn. Er meinte, unter solchen Umständen könne man nicht heiraten, und es hätte mit uns beiden wohl keinen Sinn.

Es ist keine Grundlage für eine Ehe, wenn die Hochzeit prächtig ausgestattet wird, der Mann hübsch und blond ist und die Frau noch mit niemandem geschlafen hat. Das sind Äußerlichkeiten, die mit der Liebe zwischen zwei Menschen nichts zu tun haben.

In einem anderen Traum fand ich im Haus meiner Mutter ein kleines Buch von Reclam. Es war ein Ratgeber, in dem stand, wie man ein Brautkleid verzieren konnte, damit es einem Glück brachte. Ich folgte diesem Ratgeber und nähte ein Kleid aus weißer und gelber Seide, lang, fließend und durchscheinend. Ich steckte Symbole daran für Kinder und für die Fähigkeit, den Ehemann glücklich zu machen. Als meine Mutter kam, versteckte ich das Kleid. Sie sollte keine Gelegenheit bekommen, an der Beziehung von Rafa und mir teilzuhaben.

Saara hat erzählt, daß sie kürzlich von der Sängerin Tessa geträumt hat. In diesem Traum hat sich die Sängerin sehr gut mit Lara verstanden. Die Sängerin soll dick gewesen sein.

In Wirklichkeit hat Saara die Sängerin nur einmal gesehen; das war vor etwa einem Jahr im "Exil". Die Sängerin saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in der Nähe der Toiletten. Ihre pinkfarbenen Haare waren gewaltig auftoupiert, und sie trug hohe Stöckelabsätze. Neben ihrem Hocker stand eine Sektflasche.
"Was ist denn das für eine Nutte?" dachte Saara.
Sie staunte nicht schlecht, als sie erfuhr, daß Rafa mit einer solchen Person zusammengewesen ist. Rafa war übrigens in jener Nacht nicht im "Exil"; nur Kappa war da.
Rafa soll in der letzten Zeit öfter bei Lara Videofilme angeschaut haben. Er soll die Kassetten mitgebracht und dann auch wieder mitgenommen haben. Ich frage mich, ob das die Videos waren, die er sich von mir ausgeliehen hat.
Offenbar macht sich Rafa tatsächlich einen Spaß daraus, bei Lara falsche Hoffnungen zu wecken. Neulich hat er zu ihr gesagt:
"Einen Test mußt du noch bestehen, dann sehen wir weiter."
Als er kurze Zeit danach mit Lara eine Meinungsverschiedenheit hatte, weil sie ihn nicht fahren wollte, sagte er zu ihr:
"So, jetzt hast du den Test verloren."
"Was war das denn für ein Test?" wollte Lara wissen.
"Das sage ich nicht", erwiderte Rafa, wie er es meistens tut, wenn ihm nichts mehr einfällt.
"Tests" sind also eine Masche von Rafa, die dazu dienen soll, Menschen unter Druck zu setzen oder zu demütigen. Man kann diese "Tests" nur dann "bestehen", wenn man sie nicht ernst nimmt. Am besten ist es, wenn man Rafa mit seiner Masche regelrecht aufzieht.
Rafa soll Lara sehr entwerten. Fast alles, was sie sagt, bezeichnet er als "uninteressant".
Im vergangenen Sommer, als Rafa von Sandro wegen seines Abenteuers mit Lara zur Rede gestellt wurde, sagte Rafa zu Sandro:
"Ja, ich habe sie gef...t, und wir tun das auch noch öfter, wenn wir Lust dazu haben."
Rafa tat so, als bilde er mit Lara eine Einheit gegen Sandro. Dabei verhält er sich Lara gegenüber höchst wechselhaft.
Rafas Mutter soll von Lara sehr angetan sein und sich gern mit ihr unterhalten. Im letzten Winter, als Lara ganz besonders oft bei Rafa war, sagte die Mutter zu ihr:
"Ach, Lara, du und Rafa, ihr heiratet mal."
Entweder will sie nicht erkennen, was für ein Spiel Rafa mit Lara treibt, oder sie kann es nicht erkennen. Vielleicht macht sie sich auch gar nicht die Mühe, solche Überlegungen anzustellen. Oder sie hat einfach nur die Worte von Rafa nachgesprochen. Der hat nämlich auch schon zu Lara gesagt:
"Mach' dir keine Sorgen, wir zwei heiraten sowieso."
Anwar soll ebenfalls ein böses Spiel getrieben haben, und zwar mit Nadine. Die achtzehnjährige Nadine schwärmte für Anwar. Er entjungferte sie. Bald darauf meldete sie sich wieder bei ihm und fragte:
"Was ist denn nun, Anwar?"
"Ja, war doch schön mit uns, nicht?" meinte er.
"Ja, und was nun?" wollte sie wissen.
"Ja, was soll sein?" entgegnete er kalt. "Ich habe doch eine Freundin."
Das soll ein ganz dickes Mädchen sein, von dem Anwar sich immer wieder trennt. Er kann seine Freundin nicht leiden, findet sie jedoch bequem und nützlich.
Anwar wird von Rafa wahrscheinlich deshalb so gerne als Kumpel verwendet, weil er so skrupellos ist, daß er Rafa nie Vorwürfe machen wird wegen seiner Schandtaten.
Velvet konnte übrigens doch nicht ins "Zone" fahren, weil ihre Fahrer absagten. Lara ist aber mit Rafa hingefahren. Greta war auch im "Zone". Rafa arbeitete sich an Laras Freundin Nadine heran und knabberte an ihrem Decolleté. Nadine wehrte ihn ab:
"Ih, dieser eklige Lippenstift. Laß' das."
Rafa versteckte sich mit Nadine draußen vor dem "Zone" und beschäftigte sich über eine Stunde lang mit ihr. Greta suchte die beiden vergebens. Weil Lara sich weigerte, Greta in ihrem Auto mitzunehmen, mußte Greta mit anderen Leuten heimfahren, und dies schon sehr zeitig. Als Greta aufbrach, war Rafa immer noch in seinem Versteck, und sie konnte sich nicht von ihm verabschieden. Später hatten Lara und Rafa einen großen Krach. Rafa behauptete, er habe Greta gar nicht wirklich mitnehmen wollen; er habe nur testen wollen, ob er Lara dazu überreden könnte, Greta zu fahren.
"Dein Leben besteht wohl nur aus Tests und Spielereien!" schimpfte Lara.
Sie sprach Rafa auf seine unzähligen Frauengeschichten an. Er leugnete, mit Velvet geschlafen zu haben. Über mich sagte er:
"Ich habe bei der geschlafen; weiter war da nichts."
Rafa soll in aller Deutlichkeit zu Lara gesagt haben, er wolle nie mit ihr eine feste Beziehung anfangen. Jetzt will Lara nichts mehr mit Rafa zu tun haben. Sie hat sogar vor, sich eine andere Szene und andere Leute zu suchen. Lara soll ohnehin Männer bevorzugen, die schicker und reicher sind als Rafa. Einmal beschrieb Lara ihren Idealmann, während Rafa mit dem Rücken zu ihr in der Nähe stand und mithören konnte.
"Ich will einen Mann, der charmant ist", sagte sie.
Rafa drehte sich lächelnd um.
"Ich will einen Mann, der gut aussieht", fuhr sie fort.
Rafa drehte sich wieder lächelnd um.
"Ich will einen, der viel Geld hat", sagte sie dann.
Rafa drehte sich nicht mehr um, sondern grummelte.
"Ich will einen, der feine Anzüge trägt", meinte sie schließlich.
Rafa drehte sich auch nicht um.
Velvet soll inzwischen viel auf Rafa schimpfen. Angeblich reizt sie nur noch sein Körper, und sie strebt keine Beziehung mehr mit ihm an.
Am 25. Mai, dem Datum von Rafas Auftritt in der "Windmühle", rief Saara mich an und berichtete, Rafa habe vorhin am Telefon zu Lara gesagt:
"Es ist Schluß. Ich liebe Nadine."
Er hat sich von Greta getrennt, und es ist nicht einmal sicher, ob Greta das schon weiß. Die unerfahrene Nadine hat dem aufdringlich-routinierten Werben von Rafa nachgegeben, und sie scheint ihm alles zu glauben, was er über sie sagt. Rafa behauptet, das sei nun wirklich Liebe, und er würde Nadine "noch mehr als Tessa" lieben. Dabei ist Nadine ebenso pummelig wie Lara, über deren Pfunde Rafa immer gemäkelt hat. Vielleicht gefallen ihm Nadines lange Haare. Vor allem aber scheint er die Tatsache zu schätzen, daß er Lara damit quälen kann, daß er sich an ihre beste Freundin herangemacht hat. Außerdem kann er durch dieses neue Verhältnis Greta abstoßen.
Rafa spielt mit allem, was ihm in die Finger kommt - mit Gegenständen, Menschen und Situationen. Mädchen wie Lara oder Nadine stehen dem hilflos gegenüber.
Nadine verabredete sich mit Lara für die "Windmühle". Lara war bereit, mit Nadine dorthin zu fahren, weil sie lieber falsche Freunde hat als gar keine. Nadine wollte erst nach dem Auftritt von Rafa nach Whs. in die "Windmühle" kommen. Weshalb sie nicht sein Konzert sehen möchte, ist unklar.
Inzwischen hat Saara mir erzählt, daß sie doch nach Whs. gefahren ist, mit zwei Bekannten. Sie kam aber erst nachts gegen halb zwei dorthin. Es war sehr voll. Die meisten Leute kannte sie nicht. Rafa stand nüchtern und geschäftig am DJ-Pult. Er hatte sich ordentlich rasiert, auch über den Ohren. Er wirkte sehr gepflegt in seinem schwarzen Sakko. Nadine saß neben dem Pult. Rafa kümmerte sich fast gar nicht um sie. Saara sah ihn nur einmal kurz mit ihr reden. Zärtlichkeiten tauschten Rafa und Nadine nie aus. Lara zeigte keine Wut auf Nadine. Nadine fuhr Lara zwischendurch nach Hause und kam dann wieder. Sie hatte sehr wahrscheinlich vor, nach der Veranstaltung mit Rafa wegzufahren.
Saara ging nicht zu Rafa, um ihn zu begrüßen. Dolf kam auf Saara zu und begrüßte sie. Als Saara auf der Tanzfläche eine leicht eingedellte CD fand, hob sie sie auf und beschloß, Rafa damit zu necken. Sie gab ihm die CD und meinte, das wäre ein Geschenk für ihn. Rafa sah sich die CD an und warf sie fort wie eine Frisbeescheibe. Saara stieß gegen Rafas Arm, so daß ihm die Zigarette aus der Hand flog.
"He, sag' mal, warum greifst du mich denn so an?" fragte Rafa.
"Rate mal", erwiderte Saara. "Du hast die CD weggeworfen, die ich dir geschenkt habe."
"Das war doch sowieso meine! Außerdem war die kaputt."
Saara blieb bis halb vier. Velvet hat ihr erzählt, daß Greta in der Pfingstnacht im "Elizium" war, allein und jammernd. Greta soll Lara gar nicht mehr anrufen; vielleicht ist es ihr peinlich, zuzugeben, daß Lara mit ihrer Voraussage doch recht hatte, daß ihr Verhältnis mit Rafa von kurzer Dauer sein würde.
Es kann sein, daß zwischen Rafa und Greta schon seit einer guten Woche nichts mehr gelaufen ist. Saara hat gehört, daß Rafa am Samstag vor Pfingsten ohne Greta zu einem Klassentreffen gegangen ist, nur mit Anwar.
Greta, Nadine und Harriet gehören alle drei zu Laras Freundeskreis. Es sieht aus, als wenn Rafa beabsichtigt, Laras Freundschaften samt und sonders zu zerstören. Er soll nämlich mit all diesen Mädchen schon etwas gehabt haben. Saara hat jetzt erfahren, daß Rafa im Januar mit Harriet etwas anfing. Als er seinen Geburtstag feierte, war davon nicht das Geringste zu merken. Er leugnete sogar, mit Harriet geschlafen zu haben.
Lara gelingt es nicht, sich Rafa zu entziehen. Seit sie aufgehört hat, ihn anzurufen, ruft er sie an. Ivco, mit dem Lara sich gut versteht, hat ebenfalls unangenehme Erfahrungen mit Rafa gemacht. Die Sängerin Tessa gehörte schon zu Ivcos Bekanntenkreis, ehe Rafa sie kennenlernte. Ivco war in die Sängerin verschossen, traute sich aber nicht an sie heran. Rafa griff zu und schnappte sie ihm weg.
Übrigens soll die Sängerin nicht nach HH. gezogen sein, sondern in die Gegend um OS.
Ist Rafa fähig, sich bewußt zu machen, wie zerstörerisch sein Verhalten ist? Er scheint einem Zwang zu folgen, einer Zerstörungssucht. Es muß ein rauschhaftes Erlebnis für ihn sein, zwischenmenschliche Beziehungen zu vernichten. Er fühlt, daß es unrecht ist, muß es aber doch wieder und wieder tun. Was genießt er daran so? Weshalb zerstört er nicht nur fremde Freundschaften, sondern auch seine eigenen?
Wenn man sich selbst die Freundschaften verbaut, entzieht man sich die Grundlage des sozialen Überlebens. Es ist eine Art sozialer Selbstmord. Deshalb vermute ich bei Rafa einen Selbsthaß, der ihn zu seinem zerstörerischen Verhalten treibt. Vielleicht ist er als Kind sehr abgelehnt worden.
Das Zerstören von Beziehungen führt zur Vereinsamung. Es bleiben nur ständig wechselnde oder haltbare, aber für immer oberflächliche Bekanntschaften. Ich frage mich, ob Rafa dieses Leben ohne Tiefe und innere Bewegung auf Dauer ausreicht.
Drei Tage nach Rafas Konzert in der "Windmühle" - in der Nacht zum Dienstag - klingelte um fünf Uhr früh das Telefon; nur einmal, danach herrschte wieder Stille.
Es könnte sein, daß Rafa nach seinem Herrenabend gewisse Launen bekommen hat. Wenn er der Anrufer gewesen ist, hat er entweder in letzter Sekunde Angst bekommen vor dem Gespräch mit mir, oder er hat es deswegen nur einmal klingeln lassen, weil er weiß, daß er nicht bei mir anrufen darf, wenn er eine Freundin hat. Er wollte sich vielleicht nur einen Nervenkitzel gönnen.
Am Samstag zeigte mir Reesli draußen im Torweg vorm "Elizium" ein Ankündigungsplakat von Rafas Konzert in der "Windmühle" in Whs. Velvet hatte das Plakat mit Sprechblasen verschönert. Sie ließ Dolf zu Rafa sagen:
"Ja, du bist der allerallergrößte, Baby!! Braut"
Rafa mußte sagen:
"Ja, ich bin ja so toll! Nicht wahr??"
Gegen Morgen kam Saara mit Aimée aus der "Halle" herüber. Saara hat in der gesamten Woche nichts über Rafa gehört. In der "Halle" war er auch nicht. Kappa hat Saara in der "Halle" zur Begrüßung umarmt. Genna war nur kurze Zeit in der "Halle". Kappa beschäftigte sich ausgiebig mit einer Blondine, deren Namen Saara nicht kennt. Dann fuhr Kappa mit Greta ins "Elizium". Greta knutschte in auffälliger Weise mit Kappa herum und grinste währenddessen immer wieder triumphierend zu Saara herüber. Kurz vor sieben, als im "Elizium" Feierabend war, schleppte Greta Kappas Metallkoffer zum Taxi und stieg mit ihm ein.
Am darauffolgenden Samstag kümmerte sich Greta im "Elizium" mehr um andere Jungen als um Kappa. Man wirft ihr den Spottnamen "Greta 'ich krieg' sie alle' Hesse" hinterher.
Kappa begrüßte mich, und ich erkundigte mich nach seinem Befinden. Er meinte, er sei auf Tour gewesen, und das war "hart, aber gut". Ich fragte nach, was für harte Sachen man denn auf der Tour so genommen hätte. Kappa behauptete, seit längerer Zeit nicht mehr zu koksen. Kokain sei "doch nicht ganz so toll".
"Vermißt du das 'Exil'?" fragte ich. "Ich vermisse es."
"Ach, ich bin froh, daß das endlich vorbei ist", meinte er.
Wir tanzten zu dem Klassiker "Electrica Salsa" von Off.
Am Morgen habe ich Folgendes geträumt:

Es gab eine Tanzveranstaltung im "Raveyard". Erst gegen vier Uhr erschien Dolf. Ich wußte, daß Dolf mit Rafa einen Auftritt gehabt hatte; Rafa konnte also nicht weit sein. Und wirklich kam Rafa alsbald auf mich zu. Er nahm mich in die Arme, und wir kuschelten uns aneinander. Währenddessen unterhielten wir uns. Es war das Gespräch zweier Menschen, die einander lange Zeit vermißt hatten und sich sehr viel erzählen mußten. Ich hielt mich jedoch an meine Pflichten und begrenzte dieses Gespräch.
"So, jetzt muß ich dich wahrscheinlich gleich wegschicken", kündigte ich an. "Jetzt stelle ich dir nämlich die Superfrage: Hast du eine Freundin?"
"Ja!" antwortete Rafa kurz und trotzig.
Mit einem gemurmelten "Tja, dann ..." löste ich mich aus Rafas Umarmung und ging schnell weit weg. Ich sah mich nicht einmal mehr um.
Rafa sollte leidvoll erfahren, wie schlimm es ist, wenn ein lang ersehntes Gespräch unterbrochen wird, nur weil er sich durch eine Freundin den Weg zu mir verbaut hat.

.
.